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Prävention

Angstverhalten vorbeugen

Wer die Mechanismen versteht, die zu Angst beim Hund führen können, kann mit frühzeitigem Training möglichem Angstverhalten entgegenwirken.

Inhaltsverzeichnis

Von Dr. med. vet. Patricia Solms

Die Ursachen von pathologischem Angstverhalten sind vielfältig. Da Ängstlichkeit und Furchtsamkeit genetische Grundlagen haben, ist auch das Auftreten von krankhaften Ängsten und Phobien abhängig vom Genotyp. Beobachtungen der Elterntiere und der Nachkommen können daher Hinweise auf eine erbliche Komponente bei Angstverhalten liefern. Tiere mit übermäßigem Angstverhalten oder Phobien sollten von der Zucht ausgeschlossen werden. Angstverhalten wird zudem von vorliegenden Umweltbedingungen, Erfahrungen und individuellen Unterschieden des jeweiligen Hundes bedingt. Häufig wird Angstverhalten auch unbeabsichtigt verstärkt, indem die Hunde getröstet oder bestraft werden und das Angstverhalten damit durch die Aufmerksamkeit des Hundehalters zusätzlich belohnt wird. Neben solchen Fehlkonditionierungen können Angststörungen auch durch inkonsistente Strafen ausgelöst werden. Diese bedeuten für Hunde unvorhersehbare und unkontrollierbare aversive Erfahrungen und erhöhen somit die generelle Ängstlichkeit, da Hunde durch Inkonsistenz (z. B. durch falsches Timing der Bestrafung) die Strafe nicht mit der verbotenen Tat in Verbindung bringen können. (Wenn beispielsweise ein Welpe nach Rückkehr seines Besitzers für Unsauberkeit oder zerstörerisches Verhalten in der Wohnung bestraft wird, welches zum Teil stundenlang zurück liegt.)

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Präventionsmaßnahmen

Umwelteinflüsse und Erfahrungen, insbesondere während der frühen Entwicklung des Hundes, können sich nachhaltig auf das Verhalten des erwachsenen Hundes auswirken. Neonatales Handling (Anfassen, Streicheln oder Hochheben des Neugeborenen) oder milder Stress z. B. durch Entfernen des Welpen für kurze Zeit (30 Sekunden) aus dem Nest, hat langfristige, positive Auswirkungen auf die Verhaltensentwicklung. Die Welpen werden dadurch weniger stressempfindlich und weniger ängstlich. Sie zeigen sich erkundungsfreudiger und sind selbstbewusster im Umgang mit Artgenossen oder Artfremden. Restriktive Haltungsbedingungen hingegen können sich negativ auf die sensorische Entwicklung des Welpen auswirken. Dies ist gekennzeichnet durch ein reduziertes Lernvermögen und mangelnde Trainierbarkeit. Auch chronischer Stress z. B. durch lang anhaltende belastende Situationen, denen sich der Welpe nicht entziehen kann, kann die Verhaltensentwicklung des Welpen negativ beeinflussen.

Sozialisation und Habituation (Gewöhnung)

Prä- und postnataler Stress sowie soziale Deprivation (Isolation) in den ersten Lebenswochen können zu erhöhter Stressempfindlichkeit gegenüber neuen Reizen und Situationen führen. Die wichtigste Zeit zur Vorbeugung von Verhaltensstörungen ist jedoch die Sozialisationsphase. Diese beginnt im Alter von ca. 3–4 Wochen und geht im Alter von ca. 12–14 Wochen in die Juvenilphase über, welche mit dem Beginn der sexuellen Reife (Pubertät) sehr individuell zwischen 5 und 14 Monaten endet.

In die Sozialisationsphase fällt auch die „sensitive Phase“ (auch „Prägephase“ oder „sensible Phase“ genannt). Dies bezeichnet eine Phase in der Entwicklung, in der bestimmte Verhaltensmuster oder Präferenzen leichter erworben werden als in anderen Phasen. In dieser Zeit entwickeln Welpen nicht nur soziale Bindungen zu Eltern, Wurfgeschwistern und anderen Rudelmitgliedern, sondern gehen auch besonders leicht artfremde Bindungen zu Menschen und anderen Tieren ein. Phobien und generalisierte Ängste z. B. richten sich vorzugsweise auf Reize, denen die Hunde erstmals nach der 12. Lebenswoche ausgesetzt sind. Dies gilt auch für die generalisierte Angst vor Menschen. Eine solche kann bei Hunden entstehen, die während der Sozialisationsphase kaum oder keinen Kontakt zu Menschen hatten. Danach ist es nachweislich sehr viel schwieriger, Hunde an unbekannte Spezies zu gewöhnen. Da in der Sozialisierungsphase auch eine Prägung auf Objekte (z. B. Staubsauger) der Umgebung stattfindet, können objektbezogene Ängste und Angstaggressionen am ehesten vermieden werden, indem Welpen in dieser Zeit einem möglichst reichhaltigen Angebot an sozialen und unbelebten Reizen ausgesetzt werden.

Faktoren der Angstentstehung:

  • Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit sind die beiden entscheidenden Faktoren bei der Entstehung von Stress und können zu Angstverhalten und Anzeichen von klinischer Depression führen (erlernte Hilflosigkeit).
  • Der frühzeitige Kontakt mit anderen Tieren (nicht nur Hunden), fremden Menschen und das Kennenlernen möglichst vieler verschiedener Umweltreize (z. B. Straßenverkehr)hilft, späteren Verhaltensauffälligkeiten vorzubeugen.

Bei der Sozialisierung an den Menschen sollte das Spektrum beispielsweise unterschiedliche Größe, Haut- bzw. Haarfarbe und unterschiedliche Geschlechter sowie Altersgruppen umfassen. Gerade im Hinblick auf die Bissprävention sollten Welpen mit Kindern unterschiedlichen Alters ebenso konfrontiert werden wie im Gegenzug Kinder im Umgang mit Hunden vertraut gemacht werden. Auch unterschiedliche Kleidung/Accessoires sollten berücksichtigt werden (z. B. Hüte, Brillen, Schirme, Mäntel, Gehhilfen etc.). Viele Mitmenschen sind Welpen gegenüber unvoreingenommener eingestellt als gegenüber erwachsenen Hunden. Somit ist es zusätzlich hilfreich, möglichst junge Hunde an unterschiedliche Orte oder Situationen zu gewöhnen (z. B. Fußgängerzone, Straßenbahn, Stadtpark, etc.). Dies kann gleichzeitig auch eine gute Sozialisation an andere Tiere oder Artgenossen zur Folge haben, welche sich ebenfalls in Größe, Alter, Geschlecht, Farbe etc. voneinander unterscheiden (Welpenschulen können dies zusätzlich unterstützen).

Als unbelebte Gewöhnungsobjekte eignen sich Gegenstände aller Art, mit denen die Welpen auch im Erwachsenenalter konfrontiert werden könnten, wie z. B. Staubsauger, Fernseher, Fahrräder, etc. Bevor ein Welpe in sein neues Zuhause gebracht wird, sollte er auch an das Autofahren gewöhnt werden und positive Erlebnisse mit der Autofahrt verbinden können (z. B. die Fahrt ins freie Feld, auf die Hundewiese, etc.).

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Wenn Angstverhalten keine körperlichen Ursachen hat, gilt es, den Auslöser zu identifizieren und den Hund mit den richtigen Therapieansätzen und Hilfsmitteln zu unterstützen. Hier kann die TFA den Besitzer beraten.

Unterschiedliche Geräusche spielen bei der Sozialisation des Welpen ebenfalls eine große Rolle. Daher sollte auf die Habituation an verschiedene Geräuschkulissen (z. B. Stadtverkehr, Feuerwerk, Gewitter, etc.) nicht verzichtet werden.

Welpen lernen einfacher von positiven Assoziationen als von negativen Erfahrungen. Zu jeder Zeit sollte die Sozialisation an die unterschiedlichen Umweltsituationen sicher für den Welpen sein und Vergnügen bereiten. Traumatische Erfahrungen hingegen können gegenteilige Effekte bewirken.

Im Vorfeld üben und trainieren

Durch gezielte Trainingsmethoden wie Desensibilisierung und Gegenkonditionierung können viele Verhaltensprobleme schon im Vorfeld gelöst werden. Diese Techniken finden sowohl bei einfachen Dingen (z. B. Halsband anlegen, in die Ohren schauen, Pfoten putzen etc.) als auch bei etwas aufwändigeren Situationen (z. B. alleine bleiben müssen) Anwendung. Ängste können so schon im Vorfeld abgebaut werden, indem der Hund lernt, dass beängstigende Situationen auch harmlos sein und mit Positivem assoziiert werden können. Auch ein Tierarztbesuch kann sich ganz entspannt gestalten, wenn der Besitzer mit seinem Welpen Berührungen aller Art (in die Ohren schauen, Fieber messen, Pfoten berühren, etc.) frühzeitig übt.

Ist ein Hund gut trainierbar und sind die Besitzer schon ein wenig erfahren, kann man versuchen, schon im Vorfeld ein Entspannungssignal aufzukonditionieren, damit in beängstigenden Situationen sofort gehandelt werden kann. Dies funktioniert ähnlich wie beim „normalen“ Hundetraining wie „sitz!“ oder „bleib!“. Dabei muss unterschieden werden, ob eine kurzfristige Entspannung erfolgen soll (wie z. B. nach einem lauten Geräusch) oder ein länger andauerndes Entspannen (wie z. B. Ablegen im Restaurant).

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Eine wissenschaftliche Studie beweist, dass Futter mit mittelkettigen Fettsäuren die Gehirnfunktion nachweislich verbessern und die Anfallfrequenz bei Hunden reduzieren kann.

Nach gelöster Anspannung (wenn der Hund beispielsweise vom Behandlungstisch herunter gehoben wird) schütteln sich die meisten Hunde und sind dann auch oft wieder gewillt, Leckerli anzunehmen. Dieses „Schütteln“ kann man sich zu Nutze machen, indem die Besitzer dies dem Hund mittels eines Clicker-Trainings auf Kommando antrainieren. Für länger andauernde Situationen, in denen sich die Hunde entspannen sollen, sollten sie das Kommando „Platz“ schon beherrschen. Hieraus erfolgt dann das weitere Training zur aktiven längeren Entspannung.

Über die Autorin

Patricia Solms trägt die Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie und praktiziert in eigener Praxis in Mainz. Kontakt: Tierarztpraxis@Rheinallee.com

Tipp: Eine Liste mit zertifizierten tierärztlichen Kollegen in ganz Deutschland findet man z. B. auf der Homepage der Gesellschaft für Tierverhaltensmedizin und -therapie. Dort gibt es viele weiterführende Informationen und Hinweise zu Fortbildungsmöglichkeiten auch für TFAs.

Buchtipps: Das Thema Verhalten interessiert Sie? Dann haben wir zwei Buchempfehlungen für Sie. Die Bücher „Verhaltensprobleme beim Hund“ und „Verhaltensprobleme bei der Katze“ können Sie versandkostenfrei bestellen.

Hier finden Sie Leseproben der beiden Bücher:

Kostenfreier Download

Infoblatt_Entspannungssignal.pdf (210.99 KB)
Infoblatt_Clickertraining.pdf (200.02 KB)

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