Von Esther Würtz
In der Tierarztpraxis suchen Tierbesitzer täglich Rat zum Wohle ihrer geliebten Haustiere. Neben der medizinischen Versorgung sind Fragen zur Haltung und Erziehung keine Seltenheit: Was ist zu tun, wenn der Hund bei Gewitter zittert? Was kann man tun, wenn sich die eigenen Katzen nicht verstehen? Meist werden diese Fragen zwischen Tür und Angel gestellt, sobald die Behandlung der kleinen und großen Patienten abgeschlossen ist. Seit gut 20 Jahren können sich Tierärzte im Bereich Verhaltenstherapie fortbilden und widmen sich fachkundig diesen Halterfragen. Hierbei ist die Zusammenarbeit mit den kurativ arbeitenden Kollegen unerlässlich, da sich medizinische und verhaltensmedizinische Aspekte gegenseitig beeinflussen. Eine Katze mit einer Blasenentzündung wird ihre Katzentoilette nicht mehr gerne aufsuchen, da der letzte Toilettengang für sie schmerzhaft war. Ein Hund mit einer Ohrenentzündung wird sich nicht mehr so gerne am Kopf streicheln lassen.
Sind die medizinischen Ursachen behandelt und behoben, bleiben oftmals Verhaltensprobleme bestehen, da das Tier gelernt hat, welche Nachteile sein Handeln nach sich ziehen kann. Neben einem gut geplanten Verhaltenstraining leisten hierbei sinnvoll eingesetzte Ergänzungsfuttermittel einen guten Dienst. Diese sind meist frei verkäuflich und stellen manch Tierbesitzer vor ein großes Rätsel. Um ihnen hier beratend zur Seite stehen zu können, macht es Sinn, sich die einzelnen Wirkstoffe einmal genauer anzusehen.
Neurotransmitter
Genau wie Psychopharmaka beeinflussen bestimmte Futterergänzungen den Gehirnstoffwechsel. Die dort wirkenden Botenstoffe (Neurotransmitter) haben Einfluss auf das Nervensystem und somit auf das Verhalten unserer Haustiere. Die wichtigsten Neurotransmitter sind Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin, Glutamat und Gamma-Aminobuttersäure (GABA).
Serotonin wird aus der Aminosäure Tryptophan gebildet. Serotonin wirkt antidepressiv. Liegt eine zu geringe Konzentration vor, ist mit Angst, Aggression und impulsivem Verhalten zu rechnen, insbesondere in bedrohlichen oder frustrierenden Momenten. Eine geringere Lernfähigkeit oder Zwangsstörungen können vorkommen.
Dopamin ist ein Zwischenprodukt der Adrenalinsynthese. Es wirkt auf die Muskulatur und die Psyche. Dopamin spielt im Belohnungs- und Suchtsystem eine wichtige Rolle. Bei einer zu geringen Konzentration kommt es zu Lernblockaden, Ängsten und einer gesteigerten Erregbarkeit. Parkinson kann in der Humanmedizin die Folge sein. Zudem nimmt die Produktion von Endorphinen ab. Ist die Konzentration an Dopamin zu hoch, kommt es zu Unruhe, Impulsivität und einer gesteigerten Reaktivität. Beim Menschen kann es hier zum Realitätsverlust (Schizophrenie) kommen.
Noradrenalin wird im Nebennierenmark gebildet und ist die Vorstufe des Adrenalins. Ist die Noradrenalin-Konzentration gering, kommt es zu einem reduzierten Energieverbrauch. Das Tier wird ruhig bzw. depressiv. Eine gehemmte Noradrenalinproduktion liegt zum Beispiel bei chronischem Stress vor. Im Gegenzug dazu reagieren Tiere mit einer hohen Noradrenalin-Konzentration gesteigert aggressiv und impulsiv. Mit einer erhöhten Erregbarkeit ist ebenso zu rechnen.
Adrenalin wird in einer akuten Stressreaktion des Haustiers ausgeschüttet. Die stärkere Durchblutung der Muskulatur wird begünstigt, sodass das Tier bestens auf eine Flucht- oder Angstreaktion vorbereitet ist. Energiereserven werden hierdurch freigesetzt. Die Pupillen und Bronchien werden weit gestellt, die Haut und die restlichen Organe werden weniger durchblutet.
Glutamat ist das Salz der Glutaminsäure und der wichtigste erregende Neurotransmitter. Er ist für die Sinneswahrnehmung, die Bewegungssteuerung und das Gedächtnis zuständig.
Gamma-Aminobuttersäure (GABA) wird aus Glutamat gebildet und ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter, er beruhigt das Gehirn. Neben der angstlösenden und schmerzstillenden Wirkung entspannt GABA den gesamten Körper und wirkt gegen Krämpfe. Bei GABA-Bildungsstörung kann es zu Krampfanfällen kommen.
Ergänzungsfuttermittel
Wie aus dem Namen abzuleiten ist, werden diese Mittel ergänzend zur täglichen Futterration eingesetzt. Es handelt sich um ein Mischfuttermittel, das einen hohen Gehalt an bestimmten Stoffen aufweist, aber alleine den Nährstoffbedarf nicht decken kann. Anders als bei Arzneimitteln dienen sie nicht zur Heilung, Linderung oder Verhütung einer Krankheit.
Folgende Substanzen können zur Unterstützung des Verhaltenstrainings genutzt werden. Sie benötigen eine Anflutzeit von bis zu acht Wochen. Die Ergänzungsfuttermittel müssen vor Beendigung ausgeschlichen werden, um einen Rückfall zu vermeiden.
Tryptophan
Bei dieser Substanz handelt es sich um eine essenzielle Aminosäure, welche mit der Nahrung aufgenommen wird. Das häufig dem Namen vorangestellte L- leitet sich auch der chemischen L-Form ab. Tryptophan passiert die Blut-Hirn-Schranke und wird im Gehirn zu Serotonin umgewandelt. Da Tryptophan mit der Aminosäure Tyrosin konkurriert, welche schneller als Tryptophan ins Gehirn transportiert wird bzw. schneller bindet, sollte in der Ration auf Mais, welcher einen hohen Tyrosin-Gehalt hat, verzichtet werden. Die Tryptophanaufnahme kann durch die Zugabe von Kohlenhydraten zur Proteinmahlzeit begünstigt werden. Ein Vitamin-B-Komplex fördert ebenfalls die Aufnahme. Es kann bei depressiver Verstimmung gegeben werden.
Fallbeispiel
Casimir, ein zwölf Wochen alter Zwergpudel, war bei Übernahme ein sehr ängstlicher Hund. Ohne seine Geschwister war er mit den täglichen Alltagssituationen sichtlich überfordert. Im Haus wich er nicht von der Seite seiner Besitzerin. Wohin sie auch ging – er folgte ihr. Ein strukturiertes Trennungstraining war nicht möglich, da Casimir, auch wenn er nur für zwei Sekunden von seiner Besitzerin getrennt war, heulte wie ein Schlosshund. Beschäftigungen jeder Art konnte er nicht annehmen. Um ihn im Alltag bestmöglich zu unterstützen, bekam er Tryptophan (3 x tgl. 1 Tablette Relaxan®, CP-Pharma, Burgdorf) verschrieben. Bereits nach zwei Wochen konnte Casimir auf seinem Platz liegen bleiben, wenn seine Besitzerin sich im Raum bewegte. Zu Beginn bekam er für die ersten Trennungsmomente zur Beschäftigung einen Kauartikel. Nach und nach konnte die Besitzerin auch den nächsten Raum aufsuchen, bis sie am Ende auch das Haus verlassen konnte. Mit kleinen, aber regelmäßigen Trainingsschritten lernte Casimir das entspannte Alleinebleiben. Tryptophan konnte, als Casimir ein Jahr alt war, schrittweise ausgeschlichen werden.
Alpha-Casozepin
Hierbei handelt es sich um ein bioaktives Peptid, welches beruhigend auf den Organismus wirkt (siehe Abb. 1). Der chemische Aufbau von Alpha-Casozepin ähnelt dem von GABA. Des Weiteren bindet es vornehmlich an die Benzodiazepin-Rezeptoren des Typ-A-GABA-Rezeptors, was die GABA-Wirkung potenziert. Alpha-Casozepin wirkt beruhigend und kann bei Stress und Angststörungen eingesetzt werden.
Fallbeispiel
Schneeflocke, ein stattlicher, fünf Jahre alter weißer Schäferhund, war extrem ängstlich. Kamen ihm beim Spaziergang Menschen entgegen, flüchtete er ins Feld. Dort wartete er in sicherer Entfernung, bis die Menschen wieder außer Sicht waren, dann lief er zurück zum Besitzer. Das gleiche Verhalten zeigte er auch, wenn ihm Artgenossen entgegen kamen. Ergänzend zu den ersten verhaltensmedizinischen Übungen bekam Schneeflocke Alpha-Casozepin (2 x tgl. 4 Tabletten Zylkene® 450 mg, Vetoquinol S.A., F-Lure) gefüttert. Bereits in den ersten Wochen konnte der Besitzer eine deutliche Besserung beobachten. Nach vier Wochen konnte Schneeflocke ohne auszuweichen an Menschen vorbeigehen. Lediglich bei Artgenossen musste er noch bis zum Randstreifen ausweichen, um sich sicher genug zu fühlen. Da sich Schneeflockes Verhalten beim Versuch, Alpha-Casozepin auszuschleichen, umgehend verschlechtert hatte, wurde die Alpha-Casozepin-Gabe lebenslang beibehalten.
L-Theanin
Diese Substanz ist eine nicht proteinogene Aminosäure, die aus den Blättern von grünem Tee gewonnen wird. L-Theanin wirkt im Gehirn GABA-ähnlich. Seine konzentrationsfördernde Wirkung wird in der Humanmedizin in der Demenztherapie eingesetzt. Es wirkt beruhigend und entspannend auf den Organismus, ohne zu ermüden. Die Wirkung ist stressreduzierend sowie stimmungsaufhellend und eine gesteigerte Leistungsbereitschaft ist gegeben. L-Theanin kann bei Unruhe mit mangelnder Konzentrationsfähigkeit verabreicht werden.
Fallbeispiel
Fluffy ist ein zehn Jahre alter Perserkater. Fluffys Besitzer wollte mit seiner Lebensgefährtin zusammenziehen. Da sie eine fünf Jahre alte Kätzin hatte, sollte Fluffy mit dieser vergesellschaftet werden. Fluffy war bisher ein Einzelkater mit Freigang. Traf er draußen auf Artgenossen, reagierte er je nach Artgenosse ängstlich bis aggressiv. Fluffys neue Partnerkatze war mit anderen Katzen vertraut und ging auf diese freundlich und aufgeschlossen zu. Bereits zwei Monate vor dem geplanten Einzug bekam Fluffy L-Theanin (2 x tgl. 2 Tabletten, astoral® Sedarom® direkt, Almapharm, Wildpoldsried) gefüttert. Bereits nach einem Monat war im Alltag eine deutliche Verbesserung von Fluffy zu beobachten. Wenn Fluffy im Garten auf fremde Katzen traf, verhielt er sich zunehmend ruhiger und entspannter. Anstatt zu knurren oder anzugreifen, blieb er nun ruhig stehen und beobachtete das Gegenüber beiläufig. Nach der schrittweisen Eingewöhnung der Partnerkatze konnte Fluffy mit ihr entspannt zusammenleben, ohne ihr gegenüber ängstlich oder aggressiv zu reagieren.
Johanniskraut
Der Inhaltsstoff Hypericin hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin, Dopamin und Serotonin, was eine antidepressive Wirkung hat. Seine volle Wirkung erreicht es etwa ein bis zwei Stunden nach der Einnahme. Durch die Einnahme von Johanniskraut können eine UV-Lichtempfindlichkeit (Photosensibilität) und eine phototoxische Reaktion der Haut (Sonnenbrand) hervorgerufen werden. Um diese Nebenwirkungen gering zu halten, müssen Überdosierungen dringend vermieden werden. Zudem ist eine Einnahme während der Wintermonate anzuraten. Im Humanbereich wird Johanniskraut häufig bei depressiven Verstimmungen in den Wintermonaten eingesetzt.
Fallbeispiel
Diva ist eine zwei Jahre alte Dalmatiner-Hündin. Sie war im Büroalltag eher nervös und bekam zur Stabilisierung des Nervensystems seit letztem Herbst Johanniskraut zugefüttert. Durch die Johanniskraut-Gabe (tgl. 2,5 Tabletten Relax me®, GreenPet, Brüggen) ist sie ein angenehmer Bürohund geworden, der nicht mehr bei jedem Kollegen, der am Schreibtisch vorbeigeht, aufspringt, um ihm „Hallo“ zu sagen. Während der Sommermonate pausierte die Besitzerin die Johanniskraut-Gabe und stellte eine leichte Verschlechterung von Divas Verhalten im Büro fest. Durch das Anbringen eines Sichtschutzes an ihrem Schreibtisch konnte dieses letzte Problemverhalten behoben werden.
Baldrian
Dieser Stoff ist als pflanzliches Hausmittel bekannt und hemmt die Wiederaufnahme von GABA, welches bei akutem und chronischem Stress erniedrigt ist. Nervöses Verhalten, Schlaflosigkeit oder Angstzustände können damit behandelt werden (siehe Abb. 2). Da Baldrian auf die Amygdala wirkt, hemmt es die emotionale Reaktion z. B. auf Stress. Durch seine muskelrelaxierende Wirkung findet es auch Anwendung in der Epilepsietherapie. Es kann bei belastenden Lebensumständen gegeben werden.
CBD Öl
Cannabidiol (CBD) ist ein pflanzliches Cannabinoid, welches als schmerzstillende und bei Unruhe helfende Substanz bekannt ist. Das Cannabidiol, Inhaltsstoff des CBD Öls, wird aus den Blüten und Blättern der Hanfpflanze gewonnen. Es hat in sachgemäßer Dosierung keine berauschende Wirkung, da der Anteil des psychoaktiv wirkenden Tetrahydrocannabinols (THC) weniger als 0,2 % betragen soll. CBD Öl kann bei Stress, Angst und bei belastenden Lebensumständen gegeben werden.
Merke
Die Dosis macht die Wirkung. Bei einer zu hohen Dosierung kann es auch bei Ergänzungsfuttermitteln zu Vergiftungen durch die Inhaltsstoffe kommen.
Kontakt zur Autorin
Tierarztpraxis für Verhaltenstherapie Esther Würtz; www.fairmithund.de
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