Von Yvonne Lambach
Hauskatzen werden oft liebevoll Stubentiger genannt. Nicht zu unrecht, denn sie sind ihren großen Vettern in vielerlei Hinsicht immer noch erstaunlich nah. Insbesondere in der Jagd- und Ernährungsphysiologie und dem Revier- und Sozialverhalten (mit wenigen Ausnahmen wie dem Löwen) gibt es sehr viele Parallelen.
Betrachtet man die Anatomie, besteht auch hier eine sehr große Ähnlichkeit zwischen allen Mitgliedern der Familie der Felidae, den Katzenartigen. Vom Tiger bis zum Stubentiger werden die Katzen in erster Linie aufgrund von kleinen genetischen Unterschieden in Gattungen unterteilt. Echte Unterschiede – abgesehen von Merkmalen wie Größe und Fellfärbung – gibt es sehr wenige: die Morphologie der Krallen (die bei den Geparden nicht einziehbar sind), der Aufbau des Zungenbeins (knöchern oder elastisch) und die Fähigkeit zu Schnurren und zu Brüllen. Spannend dabei: Alle Felidae können schnurren, Großkatzen jedoch nur beim Ausatmen.
Von Natur aus sportlich und territorial
Es überrascht kaum, dass auch die Bewegungsmuster der verschiedenen Arten sehr ähnlich sind. Als Raubtier und obligater Fleischfresser sind fast alle Katzen Ansitz- oder Lauerjäger, die entweder still sitzen bevor sie zum Angriff übergehen, oder sich ganz langsam anschleichen (Auch hier ist der Gepard die Ausnahme: Sein Jagdverhalten ähnelt mehr dem der Hundeartigen). Das klingt zunächst nicht nach ausgiebiger Bewegung. Sportlich wird es aber durch die spezielle Struktur des Reviers der Katzenartigen, die alle mehr oder weniger territorial leben.
Dabei gibt es in erster Linie geschlechtsspezifische Unterschiede: Bei wild- und freilebenden Hauskatzen, wie auch bei den meisten ihrer größeren wilden Verwandten, haben die weiblichen Tiere in der Regel wesentlich kleinere Territorien als die männlichen. Die Kätzinnen bleiben unter sich und bilden bei gutem Nahrungsangebot und genügend Rückzugsbereichen auch größere Verbände von weiblichen Tieren einer Familie. Die männlichen Katzen werden nur zur Paarung toleriert und müssen daher schon früh auf andere Gebiete ausweichen. Sie leben ausschließlich solitär, bei gutem Nahrungsangebot kann das Territorium auch mal etwas kleiner ausfallen.
Sowohl bei den Hauskatzen, als auch bei wildlebenden Katzen gibt es in der Regel ein Kernterritorium und ein erweitertes Territorium. Im Kernterritorium wird gespeist, gepflegt und geschlafen. Die Jagd und auch die Ausscheidungen erfolgen im erweiterten Territorium. Das Kernterritorium umfasst ca. 100 m2, also z. B das Haus oder die Wohnung und einen kleinen Garten. Die Reviergrößen des erweiterten Territoriums unserer Hauskatzen schwanken in der Regel zwischen 0,5–1,5 km2. Bei Freigängern erklärt diese Struktur auch, warum die Katze in der Regel in Nachbars Garten ihr „Geschäft“ erledigt und nicht im eigenen. Für Stubentiger bedeutet das wiederum, dass eine klassische 2–3-Zimmer-Wohnung eigentlich keinen ausreichenden Raum bietet, um das „Geschäftliche“ vom „Privaten“ zu trennen.
So sieht der Tag einer Freigänger-Katze aus
Innerhalb ihres Reviers legen Freigänger und verwilderte Katzen mehrmals täglich sehr lange Strecken zurück. Der Kernbereich wird stets zum Fressen, zur Fellpflege und für die Ruhephasen aufgesucht. Das erweitere Revier dient der Jagd und wird ausgiebig markiert und patrouilliert. Diese erweiterten Bereiche sind in der Regel Jagd-Reviere, die von mehreren Katzen zu wechselnden Zeiten genutzt werden. Auch deshalb bringen Katzen eine Beute in der Regel zurück in die sichere „Homezone“ des Kernterritoriums. Bei 20 und mehr Jagdversuchen pro Katze und Tag und zwischen 8–12 erfolgreichen Beutezügen bedeutet das, dass in der Regel mehrere Kilometer zurückgelegt werden. Natürlich ist dies abhängig von der Dichte an Beutetieren und der Katzen-Konkurrenz. Ein Kater auf einem Bauernhof mit großem Nahrungsangebot wird zur Jagd nicht unbedingt weite Wege zurücklegen, trotzdem muss auch hier das Revier täglich patrouilliert und markiert werden.
Die Aktivitäten von „Draußen-“ und „Drinnen“-Katzen
Freigänger bewegen sich zur Jagd, aber auch um Orte für Kot- und Harnabsatz aufzusuchen. Sowohl dieses Markieren als auch Kratzmarkieren und Markieren durch Abstreifen der Gesichtspheromone informiert andere Artgenossen darüber, dass dieses Gebiet bereits bewohnt wird. Kommt es zum Sichtkontakt mit Artgenossen, kommunizieren sie ihren Anspruch zunächst mit bedrohlicher Körperhaltung, Augenkontakt und Vokalisation, lange bevor es eine körperliche Auseinandersetzung gibt. Nach getaner Arbeit wird dann nochmal geklettert, hoch zu einem sicheren Platz mit Überblick
Nahrungsaufnahme und Bewegung waren und sind bei der Katze eng miteinander verbunden. In der Realität der meisten Stubentiger ergibt sich ein anderes Bild: Sie bewegen sich zum Futternapf, zur Katzentoilette, auf den Kratzbaum, auf die Fensterbank, aus Langeweile, in Interaktion mit anderen Katzen und den Menschen. Im Vergleich zum Freigänger wird schnell klar, dass hier Anreize zur Bewegung im Vergleich zum Leben in einem vielfältigen Outdoor-Revier fehlen.
Zu wenig Raum
Es fehlt der Raum und die Infrastruktur, um artgerechtes Verhalten zu zeigen. Es gibt keine Möglichkeit zu jagen. Die Motivation zur Bewegung bei Stubentigern und Freigängern ist vergleichbar, aber in der Regel steht ein deutlich geringeres Raumangebot zur Verfügung. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Raum für die Katzen nur in einer Ebene gestaltet ist (alle Ressourcen auf dem Boden: Futter/Wasser, Katzentoilette, Ruhebereiche, Markierangebote). Natürlich fehlt auch die Motivation sich zu bewegen, wenn das Futter regelmäßig zur Verfügung gestellt wird oder sogar immer verfügbar ist. Dies gilt für alle Katzen, die nicht selbst jagen können. Selbst 3–4 Fütterungszeiten imitieren nicht das artspezifische Jagdverhalten.
Schmerzen
Sind Stubentiger zusätzlich auch schon älter oder haben sie arthrotische Veränderungen, sind übergewichtig oder anderweitig chronisch krank, dann werden sie noch weniger Bewegungsfreude zeigen. Häufig spielen Osteoarthrosen, aber auch andere orthopädische Erkrankungen eine Rolle. Hier sollten wir aufmerksam nachfragen und untersuchen. Bei chronischen Schmerzen zeigen Katzen oft keine deutliche Symptomatik. Häufig und daher verdächtig sind hier vor allem ein allgemein ruhigeres Verhalten mit vermehrtem Rückzug, verminderte Bewegung mit kleinerem Radius und vernachlässigte Fellpflege.
Übergewicht
Die Wahrscheinlichkeit für Übergewicht steigt mit zunehmendem Alter und erreicht ihren Höhepunkt im mittleren Alterssegment. Vor allem Stubentiger mit wenig Bewegung neigen zu Übergewicht.
Angst/Stress
Wenn im Mehrkatzenhaushalt Konflikte bestehen oder zu viel Trubel im Alltag herrscht, ist das bereits ein ausreichender Grund für Katzen, sich zurückzuziehen und sich nicht mehr ausreichend zu bewegen.
Räumen Sie Missverständnisse aus!
Bewegungsmuster sind also ein ganz wichtiger Indikator für die Gesundheit und das Wohlbefinden. Um Verhalten artgerecht zu gestalten und auch zu verändern, müssen auch Tierbesitzer verstehen, was artgerechtes Verhalten bedeutet. Arttypisches Katzenverhalten führt oft zu Konflikten und Verhaltensproblemen, weil Menschen dazu neigen, die Besonderheiten anderer Lebewesen mit ihren Maßstäben zu messen.
Aktivität im Verlauf des Tages
Katzen sind in erster Linie dämmerungs- und nachtaktive Tiere. Sie sind damit wunderbar angepasst an die Aktivitätszeiten von kleinen Nagern und auch an Ruhezeiten von Vögeln, die den größten Teil des Beutespektrums ausmachen (. Grafik „Tagesaktivität“ links).
Kurze Aufmerksamkeitsspanne
Dem Ansitzjäger mit vielen Jagdversuchen pro Tag entsprechen kurze Aktivitätszeiten rund um den Beutefang. Im Anschluss wird gefressen und geruht, um erneut auf Jagd gehen zu können. Das bedeutet, dass es ganz normal ist, wenn Katzen nur 5–10 Minuten, wenn überhaupt, mit uns spielen und dann zum nächsten Punkt der Agenda übergehen.
Viele einzelgängerische Aktivitäten
Jagen, Nahrungsaufnahme sowie Fellpflege und Ruhen sind einzelgängerische Aktivitäten. Katzen tolerieren Artgenossen in ihrem Jagdrevier, wenn das Nahrungsangebot groß genug ist. Sie jagen jedoch auch dann alleine und kooperieren nicht. Aufgrund der geringen Größe der Beutetiere ist ein Teilen nicht möglich (im Gegensatz zu Großkatzen).
Vorliebe für bestimmtes Futter prägt sich früh
Je nach Nahrungsangebot in der Prägephase (4. bis max. 14. Lebenswoche), in der die Kitten das Fressverhalten der Mutter imitieren, entwickeln sich entsprechende Nahrungspräferenzen. Dies kann bei sehr kleinem Angebot in der Frühentwicklung dazu führen, dass Katzen neuem Futter gegenüber sehr kritisch sind oder es rundweg ablehnen. Das bedeutet nicht zwingend, dass ein Wechsel nicht mehr möglich ist, aber es kann schwierig werden.
Präferenz für Neues
Um ein vollwertiges Nährstoffangebot auch in freier Natur sicherzustellen, sind Katzen darauf programmiert, je nach Nahrungsangebot immer wieder andere Beute zu jagen. Katzen haben also eine angeborene Präferenz für Neues. Das mag ein Grund sein, weswegen sie uns so neugierig erscheinen.
Sinneswahrnehmungen
- Sehsinn: Katzen sehen sehr unscharf und sind eher weitsichtig, haben aber ein sehr gutes Bewegungssehen. Sie sind mehr oder weniger rot-grün-blind („farbenblind“). Mit dem Tapetum lucidum sind sie jedoch in der Lage, auch kleine Mengen Restlicht optimal zu nutzen und in der Dämmerung und im Dunklen sehr gut zu sehen.
- Geruchssinn: Katzen haben einen ausgezeichneten Geruchssinn. Gerüche spielen in der Kommunikation und Orientierung eine wichtige Rolle. Dabei nutzen sie die große Schleimhautoberfläche der Nase und der verschachtelten Nebenhöhlen und das sog. Vomeronasalorgan, das im Gaumen sitzt.
- Geschmackssinn: Katzen schmecken anders als wir. Die Hauptinformation, die über gut oder schlecht entscheidet, sind die Eiweiße im Futter. Süß oder salzig können Katzen nicht wahrnehmen, wohl aber „bitter“ als wichtigen Warnhinweis und Schutz vor Toxizität nutzen.
Kommunikation: „Meine Katze schreit so, weil sie Hunger hat“
Kommunikation über Miauen und andere Vokalisation ist alleine für den Menschen bestimmt. Die Lautäußerungen sind sehr unterschiedlich und oft auch von individueller Bedeutung.
Ursprünglich dient das Miauen den kleinen Katzen dazu sicherzustellen, dass sie von der Mutter gefunden werden. Sind sie einmal selbständig, ist diese Form der Kommunikation eigentlich überflüssig. Wird das Miauen vom Menschen belohnt, ob mit Aufmerksamkeit oder Futter, so entwickelt sich eine eigene Sprache. Katzen miauen dann in den unterschiedlichsten Situationen, um verschiedene Ziele zu erreichen, z. B. Spielen, Kuscheln, Hindernisse überwinden, Leckerlies erhalten und vieles mehr.
Hier finden Sie Interviews mit Prof. Suzanne Schötz, die die Sprache der Katze erforscht.
Über die Autorin
Dr. med. vet. Yvonne Lambach ist Tierärztin mit Schwerpunkt Katzenmedizin, Mitglied der Deutschen Gruppe Katzenmedizin und stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe Katzenmedizin der DGK-DVG.