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Reportage

Hinter den Kulissen: Der Praxisalltag im Zoo

Von Addax-Antilope bis Zwergrüsseldikdik: Viktor Molnár betreut als Tierarzt im Zoo Hannover 173 verschiedene Spezies.

Hannover, Zoo, Tierarzt (Foto Wilde)
Inhaltsverzeichnis

Von Dr. med. vet. Viola Melchers

Ein Bürogebäude aus Backstein, mitten in Hannover. Einzig die im Raubtierfell-Muster tapezierte Wand am Empfang lässt vermuten, dass in wenigen Metern Entfernung Löwen brüllen und Affen auf den Bäumen sitzen. Wir sind im Gemeinschaftsgebäude des Erlebnis-Zoos Hannover. Neben Verwaltung und Kantine ist eine geräumige Tierklinik untergebracht: der Arbeitsplatz der Zootierärzte Viktor Molnár und Katja von Dörnberg mit ihrer TFA Aylin Koelzer.

Auf den ersten Blick sieht es hier aus wie in vielen Kleintierkliniken: Behandlungsraum, OP, Haus­apotheke. Doch neben den gepackten Arztkoffern liegt ein langes Blasrohr. In den Schubladen lagern Zahnraspel in allen Größen und eine ganze Reihe Tubusse, von winzig klein bis ganz schön riesig. Neben Tierarzneimitteln stehen im Regal Verhütungspillen, Stilltee und Schwangerschaftstests. „Vor allem für unsere Menschenaffen dürfen wir auch einige humanmedizinische Medikamente lagern“, erklärt Molnár. Auch die Waffenkammer nebenan würde man in einer Kleintierklinik nicht finden. Hier sind Betäubungsmittel und Narkosegewehre ebenso wie Schusswaffen sicher verwahrt. Zwei Taschen mit der kompletten Ausstattung für eine schnelle Narkose und einem Zettel mit Dosierungsangaben für die gefährlichsten Tierarten liegen jederzeit griffbereit.

Der Zootierarzt ist kein Einzelkämpfer

Ein Wartezimmer fehlt in der Zoo-Klinik. „Manchmal werde ich von Kollegen beneidet, weil ich es nicht mit Tierbesitzern zu tun habe“, lacht der Tierarzt. „Aber bei den Pflegern gibt es das gleiche Spektrum wie bei den Besitzern.“ Manche sind sehr besorgt, bei anderen bedeutet ein Anruf, dass es wirklich ernst ist. Für viele Tierpfleger gehören ihre Schützlinge fast zur Familie.

Überhaupt ist dem Veterinär-Team eine gute Zusammenarbeit sehr wichtig, sei es mit Pflegern, Kuratoren oder Kollegen außerhalb des Zoos. Viktor Molnár blickt auf fast 15 Jahre Erfahrung als Zootierarzt in Budapest und Hannover zurück. Dennoch sagt er schmunzelnd: „Das Wichtigste ist, dass ich meine Grenzen kenne und weiß, wen ich anrufen kann.“ Wildtier-Spezialisten sind weltweit gut vernetzt. Bei komplizierten OPs oder speziellen Untersuchungen helfen Experten von der Tiermedizinischen Hochschule Hannover. Und als Anästhesist für einen Gorilla oder Orang Utan springen Humanmediziner aus der örtlichen Kinderklinik gerne ein.

Weniger beliebt sind der Ungar und seine Kolleginnen bei vielen Tieren. „Manchmal schlagen die Affen gegen die Glasfenster, wenn sie uns kommen sehen“, berichtet Molnár. Um Pflegemaßnahmen oder eine Behandlung zu erleichtern, trainieren die Pfleger mit ihren Schützlingen. So hat Eisbär Sprinter gelernt, sein Hinterteil für eine Belohnung ans Gitter zu drücken, passend für eine schnelle Spritze. „Leider interessieren die Tiere sich oft nicht mehr für die Belohnung, wenn sie wirklich krank sind“, bedauert der Tierarzt.

Ist dann eine Betäubung nötig, kommt meist das Blasrohr zum Zug. Bei Schusswaffen mit Narkosemittel besteht die geringe Gefahr, einen Knochen zu brechen, das ist Molnár im Lauf seiner Karriere einmal passiert. Der Pfeil aus dem Blasrohr kann höchstens zu früh abfallen.

Im Zoo wird Prävention groß geschrieben

Neben Behandlungen mit und ohne Narkose macht die Parasiten- und Infektionsprophylaxe einen großen Anteil der Arbeit eines Zoo-Veterinärs aus. Damit Neuzugänge keine Krankheiten einschleppen, stellt Viktor Molnár spezifische Anforderungen an jeden Herkunfts-Zoo: Ein Vogel darf beispielsweise keine Chlamydien-Infektion oder Influenza mitbringen. Am liebsten sind dem Zoo Neuankömmlinge aus Institutionen, die entsprechend der Balai-Richtlinie (92/65/EWG) zertifiziert sind. Diese Richtlinie regelt den EU-Handel mit Zoo- und Wildtieren. Das Zertifikat bescheinigt die Freiheit von verschiedenen Krankheiten wie Tuberkulose. Liegt es vor, ist keine Quarantäne vorgeschrieben, in Hannover wird sie vorsichtshalber dennoch zwei Wochen lang durchgeführt. Ohne das Zertifikat sind vier Wochen Quarantäne Pflicht.

Doch es gibt auch Tiere, die einfach so in den Zoo spazieren: Besucherhunde oder die Enten und Wildvögel aus dem nahen Wald. „Beim letzten Ausbruch der Aviären Influenza waren wir deshalb schon besorgt“, berichtet Molnár. Im Zoo-Fluss wurde schnell das Wasser abgelassen, damit die Vögel nicht angelockt werden. Die Mühe hat sich gelohnt, einen Fall von Aviärer Influenza gab es im Zoo Hannover nicht. Auch eine Infektion durch einen Hund kam bisher nicht vor. „Möglich wäre es schon, dass ein Pfleger in einen Durchfall-Haufen tritt und die Erreger auf die Anlage verschleppt“, meint Molnár und klopft dreimal auf Holz.

Dank der guten medizinischen Betreuung und des Mangels an Fressfeinden können Zootiere wesentlich älter werden als ihre frei lebenden Artgenossen. Das Zooteam bekommt es daher sehr häufig mit altersbedingten Erkrankungen zu tun: Das Wombat kämpft mit Nierensteinen, Schimpanse Max hat Rheuma und alte Großkatzen leiden genau wie Stubentiger an chronischer Nierenerkrankung. Die Tierärzte versuchen, den Zoo-Senioren so lange wie möglich einen guten Lebensabend zu sichern.

Wenn einer seiner alten oder jungen Patienten ihn braucht, steigt Viktor Molnár auf ein Fahrrad, das hinter den Praxisräumen parkt. Die Ausstattung der Tierklinik ist komplett mobil. Große und gefährliche Tiere behandelt das Team nicht in dem Backsteingebäude, sondern direkt auf der Anlage, wo der Löwe brüllt. Dann kann sich auch eine Futterküche in einen Operationsraum verwandeln.

Mensch und Wildtier: das Zoonose-Risiko

Zootiere haben engen Kontakt zu ihren Pflegern, manche auch zu Besuchern. Größere Probleme mit Zoonosen gab es in Hannover bisher nicht. Damit das so bleibt, wird von den Tierärzten, Kuratoren und der Betriebsärztin alle zwei Jahre eine Gefährdungsbeurteilung für jedes Revier erstellt. Regelmäßige Untersuchungen sind Pflicht, beispielsweise für Reptilien, die in der Show auftreten und Salmonella-frei sein müssen. In anderen Fällen ist besondere Vorsicht beim Handling geboten. So zum Beispiel bei den Drills, die immer zu einem hohen Prozentsatz mit dem Simian Immunodeficiency Virus (SIV) infiziert sind. Auf der anderen Seite sollen empfindliche Zootiere vor dem Kontakt mit humanen Erregern geschützt werden. Affen-Pfleger brauchen einen Hepatitis-Test und dürfen krank nicht zur Arbeit kommen. „Trotzdem kommt es vor, dass unsere Menschenaffen im Winter ein paar Tage niesen“, berichtet Molnár

Über die Autorin

Als Fachjournalistin arbeitet Dr. med. vet. Viola Melchers vor allem für die Fachzeitschrift Der Praktische Tierarzt und das Portal Vetline.de. Die promovierte Tierärztin schreibt über Spannendes aus der veterinärmedizinischen Praxis und Wissenschaft.

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