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Wildtierfindlinge 14. Oktober 2020

Igel in der Tierarztpraxis

Gerade im Herbst werden Igel sehr häufig in die Tierarztpraxis gebracht. Wir erklären, wann eine tierärztliche Behandlung notwendig ist, wie die Erstversorgung erfolgen soll und welche Erkrankungen häufig sind.

Junger Igel im Wald
Junger Igel im Wald
Inhaltsverzeichnis

Von Dr. med. vet. Annette Kaiser

In Deutschland und Österreich heimisch sind der Europäische Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) und in östlichen Regionen der Nördliche Weißbrustigel (Erinaceus roumanicus). Der Europäische Braunbrustigel ist jedoch häufiger vertreten.

In freier Wildbahn hat er eine Lebenserwartung von zwei bis vier Jahren, erwachsene Tiere erreichen ein normales Körpergewicht zwischen 800 und 1.200 g. Sie pflanzen sich saisonal fort, die Trächtigkeit dauert durchschnittlich 35 Tage. Die Jungtiere kommen in ein bis zwei Würfen pro Jahr in der zweiten Jahreshälfte zur Welt, was im Herbst geborenen Jungtieren zum Verhängnis werden kann (siehe Abb. 1 und 2).

Der Winterschlaf beginnt in der Regel ab einer konstanten Außentemperatur von unter 5 °C. Die Igel sollten dann ein Körpergewicht von 600 g aufweisen, um die monatelange Ruhephase zu überleben.

Da sie vor Menschen nicht flüchten bzw. sich für ein Wildtier leicht einfangen lassen, werden Igel häufig von es gut meinenden Gartenbesitzern oder Findern in der Tierarztpraxis vorgestellt. Es ist in erster Linie wichtig herauszufinden, wann und ob ein Tier überhaupt hilfebedürftig ist. Das ist dann der Fall, wenn das Tier krank, mager, schwach oder verletzt ist, sowie bei Jungtieren unter 120 g, die ohne Muttertier unterwegs sind. Tagaktivität allein ist vor allem in den Herbstmonaten, wenn sich Igel noch möglichst viel Wintervorrat anfressen müssen, nicht unbedingt ein Zeichen für eine medizinische Notsituation. Das Anbieten von geeignetem Futter hilft den Tieren in der Regel, besser über den Winter zu kommen; sie sollten aber wenn möglich für einige Zeit beobachtet werden.

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Eine gründliche erste Adspektion hilft bei der Einschätzung des Gesundheitszustands. Dabei werden Ernährungszustand und Körperhaltung des Tiers beurteilt und das Tier wird nach Parasiten und Wunden abgesucht. Nicht vergessen werden dürfen dabei die Gliedmaßen, die Körperöffnungen sowie die Maulhöhle. Eine Geschlechts­bestimmung ist dann hilfreich, wenn es sich um eine trächtige/säugende Igelin handeln könnte. Bei dieser ersten Adspektion durch den Tierarzt ist es essenziell, das Tier auszurollen. Im fortgeschritten geschwächten Zustand rollen sich Igel auch bei Gefahr nicht mehr ein. Jedoch ist ein fest zusammengekugelter Patient keine Garantie, dass sich nicht doch eine Wunde im Bauchbereich oder eine frakturierte Glied­maße verbergen. Im Sinne des Tierschutzes ist es wichtig, Verletzungen möglichst frühzeitig zu erkennen und über eine mögliche Behandlung oder Euthanasie zu entscheiden.

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Top Job:


Ausrollen lassen sich Igel auf verschiedene Weisen. Mitunter reicht es, sie kopfüber knapp über den Tisch zu halten; manche reagieren auf Streichen über den Rücken oder lassen sich mit einem Griff beider Hände seitlich unter den Ringmuskel „aufklappen“. Wenn man einmal der Hintergliedmaßen habhaft geworden ist, verhindert die sogenannte Schubkarrenstellung ein erneutes Einrollen und ermöglicht die Adspektion der Unterseite. Dies ist alternativ auch in einem durchsichtigen Behältnis von unten möglich. Bei besonders unkooperativen Exemplaren hilft manchmal nur eine kurze Isofluran-Narkose. Bei Igeln scheint Isofluran in einer Narkosebox sehr schnell anzufluten, sodass sie bereits nach ca. einer halben Minute bei 4 Vol % entspannt schlafen und stressfrei untersucht werden können. Die Verwendung eines Wasserbads oder das sogenannte Scruffing, das Hoch­heben an der Nackenhaut, zum Ausrollen sind tierschutzrechtlich eher als grenzwertig zu betrachten.

Häufig melden sich Finder auch telefonisch in der Praxis, wenn sie einen (vermeintlich) hilfebedürftigen Igel aufgefunden haben. Um die Größe des Tiers vor allem in den Herbst hinein bereits hier abzuschätzen, hilft ein Größenvergleich mit Obst. Ein zitronengroßer Igel wiegt ca. 200 g, ein birnengroßer 300 g und ein grapefruit­großer ca. 400 g. Normal genährte Igel sollten im ausgerollten Zustand eine tropfenförmige Silhouette ohne Halsansatz zeigen, im eingerollten Zustand eine feste Kugel. Ein von oben sichtbarer Halsansatz sowie eingefallene Flanken sind Anzeichen von Unter­gewicht, ebenso ein spitzer Kopf, „zu lange“ Beine sowie ein zu groß wirkendes Stachelkleid. Das Phänomen Über­gewicht kommt in der freien Wildbahn eher nicht vor, es kann aber zum Problem bei Überwinterungen werden. Man erkennt es daran, dass die Igel sich wegen der Körperfülle nicht mehr einrollen können.

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Allein aufgrund von Größe und Gewicht ist es oft schwierig, Jungtiere von geschwächten oder kümmernden Alttieren zu unterscheiden. Beide können zwischen 400 (manchmal sogar 300) und 600 g wiegen. Jungtiere weisen jedoch in der Regel kürzere Stacheln auf – 1 cm im Vergleich zu bis zu 2 cm bei Alttieren – und lassen noch Reste von Kindchenschema erkennen; da­gegen haben erwachsene Kümmerer einen eher spitzen Kopf und für den Rest des Körpers „zu große“ Füße.

Einen komplett ektoparasiten-freien Igel wird man in der freien Wildbahn schwerlich finden. Ausschlaggebend sind Menge und Art der vorhandenen Mitbewohner. Flöhe, vor allem Igel-, aber auch Katzenflöhe, finden sich auf jedem Igel in unterschiedlichen Mengen. Das Gleiche gilt für Zecken in unterschiedlichen Entwicklungsstadien (siehe Abb. 3). Milben treten hingegen in klinisch sichtbarer Form schon eher bei schwachen Tieren auf. Als häufigste Arten sind Caparinia tripilis und Sarcoptes scabiei vertreten. Das Vorhandensein von Fliegeneiern spricht für eine deutliche Schwächung des Tiers bis hin zu moribunden Zuständen. Manche Auffang­stationen verzichten daher ab einer gewissen Anzahl von Fliegeneiern bereits auf einen Rettungsversuch des Patienten, da dieser oft aufgrund der weit fortgeschrittenen Grundproblematik sehr undankbar verläuft.

Weil sie nicht fliehen, tragen Igel häufig Verletzungen und äußere Wunden durch Hundebisse, Straßenverkehr (siehe Abb. 4), Motorsensen und in letzter Zeit immer häufiger durch Mähroboter davon. Diese können von oberflächlichen Schürfungen mit Stachelverlust bis zu großflächigen Skalpierungen reichen. Frakturen der Glied­maßen sind nicht selten. Ebenso scheinen Igel prädisponiert für orale Fremdkörper und mit steigendem Alter für mittel- bis hochgradige Parodontitiden mit Zahnstein und Lockerung/Verlust von Zähnen. Daher sollte die Maulhöhle wenn möglich in die erste Untersuchung einbezogen werden.

Erstversorgung

Geschwächte und unterkühlte Tiere sollten als erste Maßnahme gewärmt werden. Zu kalt ist ein Igel dann, wenn sich die befellte Unterseite mit der bloßen Hand kühl anfühlt. Die normale Körperinnentemperatur liegt zwischen 35 und 36 °C, in manchen Angaben auch bis zu 37 °C . Beim Aufwärmen ist darauf zu achten, das Tier nicht zu überhitzen oder zu verbrennen. Geeignet sind Wärmematten mit einstellbarer Temperatur, Wärmeplatten für Welpen (Snuggle Safe®), lauwarme (!) Wärmflaschen sowie Rotlichtlampen in ausreichender Entfernung. Vor allem bei immobilen Tieren sollte die Temperatur regelmäßig kontrolliert werden. Medikamente oder auch Infusionen sollten erst bei normaler Körpertemperatur verabreicht werden.

Im zweiten Schritt erhalten die Tiere körperwarme subkutane Infusionen. Igel, die nicht selbstständig (ausreichend) fressen, können mit der subkutanen Verabreichung von Aminosäuren und Vitaminen über einige Tage stabilisiert werden (siehe Tab. 1).

Wenn nötig, sollten die Patienten bereits hier adäquat analgetisch versorgt werden. Es liegt eine wissenschaftliche Studie zur Pharmakokinetik von Meloxicam bei Weißbauchigeln vor (Abad et al. 2017), deren Ergebnisse vermutlich auch auf Europäische Igel übertragbar sind. Demnach führt eine Dosierung von 0,5 mg/kg sc/po einmal täglich oder 0,2 mg/kg sc 2 x täglich zu ausreichenden Wirkspiegeln. Novalgin in einer Dosierung von 50 mg/kg ist ebenfalls möglich.

Ektoparasiten sollten vor allem bei geschwächten Patienten in erster Linie abgesammelt werden. Nicht toxische Präparate wie Exner® oder dimeticon-haltige Sprays können unbedenklich angewendet werden. Der Einsatz von Antiparasitika sollte mit Vorsicht erfolgen – und wenn, dann nur im bestachelten Bereich, um eine Kontamination der Augen und Atemwege beim Einrollen zu verhindern. Beschrieben ist die Anwendung von pyrethroid-haltigen Sprays, verdünnten Doramectin-Lösungen, propoxur-haltigem Puder sowie Selamectin (Stronghold® Spot-On, bei Tieren 500 g Körpergewicht 2 Tropfen, zwischen 500 und 1.000 g Körpergewicht 15 mg, > 1.000 g 30 mg).

Die Ernährung von Igeln in freier Wildbahn besteht in erster Linie aus Insekten (Käfer, Larven, Tausendfüßler, Asseln, Heuschrecken oder Regenwürmer, siehe Abb. 5); Pflanzenteile werden meist nur zufällig aufgenommen. Ab und zu fressen sie Aas sowie kleine Vertebraten, wenn sie derer habhaft werden können. Diese Kost ist extrem kohlenhydrat- und ballaststoffarm, aber sehr fett- und proteinhaltig.

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Entsprechend sollte die Nahrung beschaffen sein, die Igeln in Auffangstatio­nen oder zum Aufpäppeln angeboten wird. Geeignet sind Dosenfutter mit einem Protein­anteil von > 60 % ad libitum, die gängigen Rekonvaleszenzprodukte der Futtermittel­hersteller (Hills a/d®, RC recovery® oder convalescence support® in einer Menge von 10–30 ml pro Igel 4–5 x tgl.) sowie energiehaltige Pasten. Die alleinige Fütterung mit kommerziellem Insekten-­Lebendfutter weist häufig eine zu schlechte Energie- und Ca/P-Bilanz auf. Wenn Igel in Gefangenschaft gut fressen, sollten sie mindestens 10 g pro Nacht zunehmen.

Zur unterstützenden Fütterung im eigenen Garten eignen sich ebenfalls Dosenfutter mit hohem Proteinanteil, gegebenenfalls bis zur Hälfte gemischt mit gekochtem Rinderfaschiertem, oder Eierspeise, um die nötige Energiedichte zu schaffen. Auch Katzen­trockenfutter kann angeboten werden.

Die Futtermittelindustrie hat ebenfalls wohlmeinende Gartenbesitzer als Kunden entdeckt. Nahezu jede Futtermittelfirma bietet ein „Igelfutter“ im Sortiment. Die Zusammensetzung ist bei genauerer Betrachtung jedoch oft mehr als fragwürdig, besteht sie doch häufig in erster Linie aus Getreide (z. B. Mais- und Weizenflocken), Erdnüssen oder Rosinen und nur zu sehr geringem Anteil aus tierischem Protein in Form von tierischen Neben­erzeugnissen. Die Kleinnager im Garten wird es freuen, für Igel sollten geeignetere Angebote geschaffen werden.

Nicht zu unterschätzen ist die Rolle von Igeln als Überträger von Zoonosen. Ca. 20 % der frei lebenden Igel sind Träger von Trichophyton spp. Sie können Kryptosporidien oder Salmonellen (S. enteritidis) ausscheiden. In mehreren Ländern wurden leptospirose-positive Tiere gefunden, aus den 1980er-Jahren existieren vier Fallberichte von Tollwut. Bei der Unterbringung in Tierarztpraxen ist weiterhin zu bedenken, dass Igel empfänglich für Parvovirose sind und auch daran erkranken können.

Die medikamentöse Behandlung von Igeln kann auf verschiedenem Weg erfolgen. Am einfachsten und sichersten ist wohl die subkutane Verabreichung von Medikamenten. Diese sollte wegen des kranial liegenden braunen Fettgewebes im hinteren Körperdrittel stattfinden. Injektionen in den Ringmuskel sollten dabei vermieden werden. Die orale Verabreichung von Substanzen ist für geübte Igelpfleger in der Regel machbar, zumal sich die Tiere nach einiger Zeit meist gut an ein Handling gewöhnen. Spot-On-Präparate oder -Sprays sollten, wie oben beschrieben, nur mit Vorsicht angewendet werden. Sehr praktisch hingegen sind Inhalationsbehandlungen, vor allem bei Tieren mit Atemwegserkrankungen.

Grundsätzlich ist zu beachten, dass kursierende Dosierungsvorschläge sehr häufig empirischer Natur sind. Es gibt nur wenige bis keine Untersuchungen zur Pharmako­kinetik von Wirkstoffen bei Igeln, selbst bei Weißbauchigeln sind diese rar. Daher sollte und darf der gesunde Menschenverstand bei der Wahl der richtigen Menge eine Rolle spielen. Zu beachten ist, dass nach einer medikamentösen Behandlung mindestens eine, besser zwei bis drei Wochen gewartet werden muss, bis die Tiere in den Winterschlaf geschickt werden, damit die Wirkstoffe ausreichend verstoffwechselt und ausgeschieden werden können.

Wer so weit gehen will, Laborparameter bei Europäischen Igeln zu bestimmen, kann sich an zwei Veröffentlichungen aus den Jahren 2002 und 2014 orientieren. Die Autoren haben in Auffangstationen in England und Italien Blutproben von 50 bzw. 38 dort überwinterten Tieren untersucht, die augenscheinlich gesund waren. Für die Erstellung von zuverlässigen Referenzwerten sind dies sehr kleine Fallzahlen, als Orientierung sind die Werte sicher hilfreich (Lewis et al. 2002, Rossi et al. 2014). Blut kann meist sehr gut und in ausreichender Menge in Narkose an der V femorialis medial am Hinterbein gewonnen werden.

Spezielle Krankheitsbilder

Endoparasitosen

Ebenso, wie es kaum Igel ohne Ektoparasiten gibt, stellt sich bei den Endoparasiten lediglich die Frage, welche und welche am meisten. Jeder frei lebende Igel trägt ein gewisses Maß an Endoparasiten mit sich herum und kann sich sofort nach einer Auswilderung oder bei einer Fütterung mit „heimischen“ Insekten erneut anstecken.

Siehe Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die häufigsten Endoparasiten bei Igeln, deren Übertragungswege sowie deren Behandlung. Da zur wirksamen Behandlung der Einsatz vieler verschiedener Wirkstoffe nötig ist, sollte eine Kotuntersuchung zur Eingangsuntersuchung jedes Igelpatienten zählen (siehe Abb. 6a und b). Diese kann aufwendig mittels einer Flotation/Sedimentation sowie einem Auswanderungsverfahren einer Sammelkotprobe von drei Tagen durchgeführt werden. Für einen ersten Eindruck reicht aber mitunter die Nativuntersuchung von ein bisschen Kot (am besten schleimige Anteile aus dem Randbereich oder Durchfall), aufgeschwemmt mit NaCl unter dem Mikroskop. Hochgradige Befallsstärken lassen sich auch hier erkennen, oft sind sogar Lungenwurmlarven bereits hier feststellbar.

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Unbedingt zu beachten ist jedoch, dass Igel erst ab einem Körpergewicht von über 300 g gegen Endoparasiten behandelt werden sollten. Bei leichteren Tieren sind durch die prophylaktische wie gezielte Anwendung von Antiparasitika vermehrt Todesfälle zu beobachten. Lediglich bei Kümmerern mit hochgradiger Parasitenlast sollte eine medikamentöse Therapie notfalls auch unter 300 g durchgeführt werden.

Erkrankungen der Atemwege

Neben dem sehr häufigen Befall mit Lungenwürmern kommen bei Igeln oft bakterielle Bronchiopneumonien primär oder meist sekundär vor. Betroffene Igel zeigen vermehrtes Niesen oder Husten, eitrigen Nasenausfluss oder Auswurf sowie in fortgeschrittenen Fällen Atemnot mit Flanken­atmung und Maulatmung. Es finden sich Bordetella spp., Pasteurella spp., hämolysierende Streptokokken und Staphylokokken.

Diese Tiere sollten in jedem Fall antibiotisch (z. B. Trimethoprim-Sulfonamid oder Penicilline) abgedeckt, ausreichend mit Flüssigkeit versorgt sowie mit Schleimlöser und Paraimmunitätsinducer behandelt werden. In der Praxis bewährt hat sich auch eine Inhalationsbehandlung mit NaCl, Gentamycin, ACC sowie Kortison über einen Kaltvernebler. Hochgradige Atemnotpatienten, die nicht gut auf Therapie ansprechen, sollten jedoch euthanasiert werden.

Erkrankungen des Verdauungsapparats

Neben den oben genannten Parasiten führen eine Reihe von weiteren Erregern zu Durchfällen und Verdauungsstörungen. Auch eine nicht adäquate Fütterung kann Durchfall hervorrufen. Eine Vielzahl an pathogenen Bakterien, darunter einige mit zoonotischem Potenzial (siehe oben), kann im Darm von Igeln nachgewiesen werden, teils auch bei asymptomatischen Trägern. Bakterielle Durchfälle sind häufig grünlich-blutig, bei oft stark gestörtem Befinden des Tiers. Viren oder Candida-Mykosen können bei der Entstehung von Durchfällen ebenfalls eine Rolle spielen. Neben einer gezielten antibiotischen Therapie ist die Versorgung mit Flüssigkeit über subkutane Infusionen essenziell, zusätzlich Novalgin, MCP oder Butylscopolamin nach Bedarf sowie die Stabilisierung der Magen-Darm-Flora. Bewährt hat sich vielerorts Bene-Bac®-Pulver über das Futter.

Erkrankungen der Haut

Ein weiterer wichtiger Vorstellungsgrund von Igeln sind Erkrankungen der Haut und Veränderungen des Stachelkleids, vermutlich auch wegen der Offensichtlichkeit der Probleme. Hier können neben Milben (Caparinia tripilis, Chorioptes spp., Sarcoptes spp.) Dermatomykosen sowie eine Mangel- bzw. Fehlernährung eine Rolle spielen. Die Igel zeigen mehr oder minder Juckreiz, lichtes Stachelkleid und weißlich schuppige oder borkige Auflagerungen auf der Haut in verschiedenen Stadien. Die Haut der befellten Unterseite ist häufig gerötet, die Stacheln fallen bei nur geringer Berührung aus. Die Therapie der Ektoparasiten wurde bereits oben beschrieben. Dermato­mykosen können über wiederholte Bäder mit Enilconazol behandelt werden. Bei Mangelzuständen hilft die subkutane Verabreichung eines Vitamin-ADE-Komplexes über einige Wochen. Manche Pflegestellen behandeln alle Hautprobleme nur äußerlich mit nicht toxischen Präparaten (Exner®), teils mit sehr gutem Erfolg. Zu beachten ist, dass Stacheln häufig erst beim nächsten „Fellwechsel“ im Frühjahr nachwachsen und dass das Fehlen von Stacheln alleine kein Indiz für eine andauernde Erkrankung sein muss. Die Behandlung von Hautproblemen ist bei Igeln aber immer eine langwierige (wochenlange) Angelegenheit.

Verletzungen

Die Wundversorgung bei Igeln kann und sollte wie bei allen anderen Säugern erfolgen. Oft werden Tiere mit alten, infizierten Wunden vorgestellt, bei denen abgewogen werden muss, ob eine Behandlung noch sinnvoll möglich ist. Frakturen der langen Röhrenknochen können ebenfalls analog zu anderen Kleinsäugern versorgt werden, idealerweise mittels Osteosynthese. Die notwendige Gefangenschaft bis zur Frakturheilung tolerieren die Tiere in der Regel gut. Konservative Frakturbehandlungen sind möglich, haben aber häufig eine Fehlstellung der Gliedmaßen zur Folge, da durch das Einrollverhalten des Tiers meist keine ausreichende Verbandsbehandlung oder externe Schienung erfolgen kann.

Bei komplizierten Frakturen oder massiven Weichteiltraumata ist manchmal nur eine Amputation sinnvoll. Dabei ist zu beachten, dass Tiere mit einer amputierten Hintergliedmaße wieder ausgewildert werden können, Tiere mit einer amputierten Vordergliedmaße jedoch zu eingeschränkt sind und lebenslang in Gefangenschaft bleiben müssten.

Dies ist nach dem Tierschutzgesetz streng genommen nicht erlaubt und sollte auch im Sinne des Tiers, welches in Freiheit über ein mehrere Quadratkilometer großes Revier verfügt, kritisch abgewogen werden. Die Amputation einer Hinterglied­maße sollte auf jeden Fall im Hüftgelenk ohne verbleibenden Stumpf erfolgen.

Neoplasien

Fallberichte von Neoplasien bei Igeln handeln meist von malignen Tumoren. Dies deckt sich mit eigenen Beobachtungen. Häufig sind Plattenepithelkarzinome in der Maulhöhle sowie Osteosarkome oder Adenokarzinome. Eine neuere Untersuchung bei Weißbauchigeln hat gezeigt, dass es sich bei Veränderungen an der Gingiva zu 50 % um gutartige Hyperplasien, zu 50 % jedoch um maligne Prozesse handelt (Jekl et al. 2019).

Literatur bei der Autorin erhältlich.

Über die Autorin Dr. med. vet. Annette Kaiser

FTÄ für Heimtiere, FTÄ für Kleintiere, ist Oberärztin für Heimtiere der Tierklinik Haar (D, www.tierklinik-haar.de). Sie betreut den Wildtierwaisen-Schutz e. V.
Kontakt zur Autorin: annette.kaiser@anicura.de

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