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Impfskepsis 26. August 2019

Impfgegner in der Tiermedizin

Immer mehr Anti-Vaxxer lehnen die schützende Spritze für ihre Tiere ab. Aber warum wird dieser Art der Krankheitsprävention zunehmend misstraut?

Spritze und Hund
Spritze und Hund
Inhaltsverzeichnis

Von Dr. med. vet. Viola Melchers

Mitten in Europa, in der Ukraine, starben 2018 16 Menschen an den Masern – einer Erkrankung, die dank wirksamer Impfung längst ausgerottet sein könnte. Stattdessen klaffen weltweit immer mehr Impflücken und die Fallzahlen steigen. Die WHO nennt in diesem Jahr erstmals die Impfskepsis als eine der zehn größten globalen Bedrohungen, in einer Reihe mit tödlichen Erkrankungen wie Ebola. Längst hat der Trend auch die Tiermedizin erfasst: Anlässlich des Welt-Impftages warnte die FECAVA vor einem Comeback tödlicher Erkrankungen durch die zunehmende Impfmüdigkeit unter Tierbesitzern. Zwischen 2011 und 2017 seien die Impfraten bei Hunden und Katzen in Großbritannien um sieben Prozent gefallen. Schon 2013 verzeichnete auch ein Flyer der Bundestierärztekammer eine zunehmende Verunsicherung von Tierhaltern durch Impfgegner.

Mythen, Angst und Misstrauen

Warum? Einem gesunden Tier (oder Kind) eine Spritze setzen zu lassen, erfordert viel Vertrauen. Hilft das überhaupt? Oder schade ich damit sogar? Seit es Impfungen gibt, lösen sie Ängste aus – doch heutzutage wird es für Laien immer schwieriger, in dem Wirrwarr von Informationen, auf das sie vor allem online stoßen, echte Fakten zu erkennen. Fake News, emotional verpackt, verbreiten sich über soziale Medien weltweit und in Windeseile. So können einzelne Fanatiker viele andere Menschen beeinflussen. Das Paradebeispiel: die Autismus-Lüge, vor etwa 20 Jahren vom Londoner Arzt Andrew Wakefield durch eine Publikation gefälschter Daten in der Fachzeitschrift The Lancet in die Welt gesetzt. Obwohl inzwischen vielfach widerlegt, hält sich hartnäckig das Gerücht, Impfungen könnten Autismus auslösen. Sogar in der Tiermedizin: Erst im letzten Jahr sah sich die British Veterinary Association gezwungen, klarzustellen, dass es weder Hinweise auf Autismus bei Tieren gibt noch darauf, dass eine Impfung solche Symptome verursachen könnte. Eine bekannte Fernsehsendung hatte dazu aufgerufen, von Hunden zu berichten, die nach Impfungen Anzeichen von Autismus zeigten.

Persönliche Geschichten und Bilder können in sozialen Medien große Überzeugungskraft entfalten. In Japan begannen 2013 einige Eltern, Videoclips von Krampfanfällen ihrer Töchter zu posten, und behaupteten, diese wären eine Folge der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs. Das Gerücht eines mit der HPV-Impfung assoziierten neurologischen Syndroms verbreitete sich rasant, ein Wissenschaftler präsentierte Hirnschnitte einer Maus, die grün fluoreszierten – angeblich Ablagerungen im Gehirn durch den HPV-Impfstoff. Die japanische Regierung setzte die Empfehlung für die HPV-Impfung aus und hat sie, obwohl die Daten nachgewiesenermaßen gefälscht waren, bis heute nicht wieder in Kraft gesetzt. Die Impfraten sanken dramatisch.

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Manchmal mischt sich die Angst vor den injizierten Stoffen mit dem Misstrauen gegenüber den Institutionen, die sie empfehlen. So sterben im Kongo immer mehr Menschen an Ebola. Dort glaubt ein Drittel der Bevölkerung dem Gerücht, der Ausbruch sei nicht real, Impfung und Behandlung werden von vielen abgelehnt und Ebola-Zentren wurden von Milizen zerstört.

Impfgegner in der Tiermedizin


Top Job:


Mit Staupe infizierte Füchse oder Waschbären streifen immer wieder durch Deutschland. Dennoch kam es bisher nicht zu größeren Ausbrüchen in der Hundepopulation. „Das spricht dafür, dass die Impfdecke hält“, meint Max Bastian, promovierter Tierarzt, Immunologe und Leiter der Geschäftsstelle der StIKo Vet. Es gibt nicht viele Daten zur Impfrate unter den Haustieren hierzulande, aber Bastian nimmt eine Impfmüdigkeit bislang nicht als Problem wahr. Eine letztes Jahr von der Münchener Arbeitsgruppe um Kathrin Hartmann veröffentlichte Online-Umfrage unter Katzenbesitzern scheint das zu bestätigen: Die große Mehrheit der Katzen war entsprechend den aktuellen Leitlinien geimpft, nur etwas über fünf Prozent gar nicht. Wer sich entschied, sein Tier nicht zu impfen, gab als häufigsten Grund die langen Wartezeiten beim Tierarzt an. In Großbritannien hat die veterinärmedizinische Tierschutzorganisation PDSA Tierbesitzer befragt, warum sie nicht impfen lassen. Die Antwort war meist, die Impfung sei nicht notwendig oder zu teuer.

Pferdebesitzer wurden ebenfalls online zum Impfmanagement befragt. Ergebnis der Bachelorarbeit von Katharina Nolte, Pferdewirtschafterin, war: Die meisten Besitzer impfen gegen Tetanus und Equine Influenza, gegen Letztere allerdings oft nicht alle sechs Monate. Nur 33 Prozent der Pferde in der Studie waren wirksam gegen Equine Herpesviren geschützt. Wer angab, sein Impfverhalten nicht ändern zu wollen, nannte als Gründe den fehlenden Nutzen und die Angst vor Nebenwirkungen, aber auch generelle Vorbehalte gegen Impfungen.

Ähnlich äußern sich auch Pferdebesitzer in Australien, die nicht gegen das Hendra-Virus impfen, das von Flughunden auf Pferde übertragen wird und auch Menschen infizieren kann. Viele Pferdebesitzer halten das Ansteckungsrisiko für ihre Tiere und die Schwere der Erkrankung beim Menschen für gering, nur die Hälfte der australischen Pferde ist geimpft. Das Nebenwirkungsrisiko scheint groß und beängstigend, weil Warnungen von Impfgegnern sich viral verbreiteten. Der Pharmaindustrie und den Tierärzten wird von Impfgegnern Geldmacherei auf Kosten der Tiere vorgeworfen. Wer impft, gab hingegen an, dem Rat von Tierärzten zu trauen.

Nutztierhalter entscheiden über Impfungen vor allem nach ökonomischen Gesichtspunkten. „Da wird hart kalkuliert“, meint Bastian. Trotzdem können falsche Fakten für große Unruhe sorgen. Nachdem in Deutschland 2008 die Pflichtimpfung gegen das Blauzungenvirus eingeführt wurde, war die allgemeine Wahrnehmung unter den Landwirten, dass die Impfung das Risiko des Verkalbens erhöhe. Das Paul-Ehrlich-Institut sah keinen kausalen Zusammenhang, doch einzelne Tierseuchenkassen gewährten den Landwirte bei zeitnahem Auftreten von Aborten nach der Blauzungenimpfung eine Beihilfe. Insbesondere in nicht von der Erkrankung betroffenen Ländern wie Bayern wurde – teils mit harten Bandagen – um die Impfpflicht gerungen, wie Bastian berichtet.

Verzerrte Risikowahrnehmung

Die Angst vor der Spritze (oder ihren Kosten) ist oft größer als die vor Tierseuchen, die – dank Impfungen – in Europa selten geworden und damit aus dem Bewusstsein vieler Menschen verschwunden sind. Dabei ist die Gefahr nach wie vor real: Tierärzte, die schon in den 80ern praktizierten, erinnern sich noch an den Geruch der Parvovirose und bleiben nicht gelassen, wenn illegal importierte und ungeimpfte Welpen ihnen erneut diese Fälle bescheren.

Natürlich lässt sich über das richtige Impfen diskutieren. In den letzten Jahren hat sich die veterinärmedizinische Impfpraxis unter dem Credo der StIKo Vet, „Mehr Tiere impfen, das einzelne Tier so häufig wie nötig“, sehr gewandelt. Diese Entwicklung sowie divergierende Experten-Empfehlungen spiegeln das sich weiterentwickelnde Wissen, können aber auch für Verunsicherung sorgen. Impfskepsis kann eine Glaubensfrage sein, der mit Argumenten kaum beizukommen ist. Dennoch lohnt es sich, Bedenken ernst zu nehmen. Am ehesten lassen sie sich wohl auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Tierarzt und -besitzer aus dem Weg räumen.

20 Antworten für Impfgegner

„Die Wirksamkeit von Impfungen wurde niemals belegt, Impfungen fördern Allergien, mit Impfungen will die Pharmaindustrie nur Geld machen“: Das Paul-Ehrlich-Institut hat die häufigsten Einwände gegen das Impfen zusammengetragen und Antworten formuliert. Viele davon lassen sich auch auf impfkritische Tierhalter übertragen: https://www.svg.to/impfgegner.

Über die Autorin

Als Fachjournalistin arbeitet Dr. med. vet. Viola Melchers vor allem für die Fachzeitschrift Der Praktische Tierarzt und das Portal Vetline.de. Die promovierte Tierärztin schreibt über Spannendes aus der veterinärmedizinischen Praxis und Wissenschaft.

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