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Onkologie 27. September 2018

Keine Macht dem Tumor

Hochmoderne Technik auf dem Weg nach Frankfurt: In Linsengericht steht das erste radioonkologische Zentrum für Pferde Deutschlands. Die ersten Behandlungserfolge stimmen zuversichtlich.

Inhaltsverzeichnis

Von Lisa-Marie Petersen

Wenn eine Klinik Hoffnung für ein erkranktes Tier verspricht, nehmen Tierhalter gerne lange Wege auf sich. Zu einem neuen Hoffnungsträger für Pferdebesitzer könnte sich der kleine Ort Linsengericht in Hessen entwickeln: Im Oktober 2017 hat hier das erste radioonkologische Zentrum für Pferde mit Technik nach humanmedizinischen Standards eröffnet – genau auf der gegenüberliegenden Seite eines großen Bio-Supermarkts. „Etwas vergleichbares gibt es bisher nur in Cambridge in England”, erzählt Janine Brunner, die veterinärmedizinische Leiterin der Equinox Klinik.

Die Schweizer Tierärztin ist Diplomate für innere Pferdemedizin und verfolgte bereits zu Planungszeiten der Klinik die Vorhaben von Inhaber Tim Kowalewski. Der Ingenieur mit einem Diplom in biomedizinischer Technik ist Experte auf dem Gebiet humanmedizinischer Bestrahlungsgeräte. Brunner wusste gleich: Wenn die Klinik steht, möchte ich dort mitarbeiten. „Die Bestrahlung stellt eine weitere, vielversprechende Behandlungsmöglichkeit dar“, sagt sie. So gibt es Neoplasien, die chirurgisch schwer zugänglich sind oder nicht vollständig entfernt werden können. Gerade bei Patien­ten, die bis auf den Tumor vollständig gesund sind, wollen Besitzer jedoch alles versuchen. „Solche Pferde sehen wir hier häufig“, erzählt Brunner beim Rundgang durch die großzügigen Behandlungshallen. Kollegen haben Patienten auch schon vor Ort operiert und dann bestrahlen lassen.

Noch sind die auf Pferdepatienten ausgerichteten gepolsterten Narkoseboxen, der Kran, der Untersuchungsstand, das CT, die Überwachungsmonitore und der durchstrahlbare Carbontisch allerdings nicht im Dauereinsatz. „Bei Pferdetierärzten und Besitzern muss sich erst einmal herumsprechen, dass es uns hier gibt“, glaubt Brunner. Neben Freizeit- und Sportpferden kommen derzeit auch viele multimorbide Kleintierpatienten zur Bestrahlung. Sogar Kaninchenhalter waren bereits zu Gast. Die Klinik ist dann die letzte Hoffnung. „Im Gegensatz zu den Pferden haben die überwiesenen Kleintierpatienten häufig viele Baustellen“, erzählt die junge Tierärztin. Oft haben diese Hunde und Katzen schon einen langen Leidensweg, mehrere Tierärzte und zahlreiche Behandlungsversuche hinter sich.

High-End-Technik hinter meterdicken Betonwänden

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Das Herzstück der Klinik, der futuristisch anmutende Linearbeschleuniger zur Strahlentherapie, steht hinter vier Meter dicken Betonmauern. Das Gerät arbeitet so präzise, dass der Röntgenstrahl selbst Neoplasien an schwer zugänglichen anatomischen Strukturen erreicht, ohne dabei benachbarte Organe zu schädigen. Ein Lasersystem im Türbereich registriert jeden ein- und austretenden Besucher. „Das sind alles arbeitsschutzrechtliche Maßnahmen“, erklärt Brunner. So musste natürlich sichergestellt werden, dass keine Strahlung austritt und Menschen oder auch die Lebensmittel des benachbarten Supermarktes belasten kann. Ein Start der Bestrahlung ist nur dann möglich, wenn alle Klinikmitarbeiter den Raum verlassen haben. Die kontinuierliche Überwachung der narkotisierten Patienten ermöglichen Kameras, die Bilder auf mehrere Monitore in die Behandlungshalle übertragen. Vom dort positionierten Steuerungs-Desk aus stellen die Tierärztinnen auch die errechneten Strahlendosen ein. Da die Technik hochkomplex ist, sind neben den zwei angestellten Tierärztinnen drei MTAs und zwei Medizinphysiker sowie externe Radioonkologen für ihre stetige Überwachung und Wartung zuständig, während drei TFAs den Tierärztinnen bei der Betreuung der Tierpatienten zur Seite stehen.

Wissenschaftliche Daten sammeln


Top Job:


Seit der Inbetriebnahme der Klinik wurden bereits 70 Pferde bestrahlt. Vor allem equine Sarkoide, Plattenepithelkarzinome und Melanome kommen häufig vor. Aber auch Schmerzbestrahlungen, zum Beispiel bei Spat, Hufrehe oder diversen Arthrosen, haben die Tierärztinnen schon durchgeführt. „Natürlich können wir noch keine Langzeitergebnisse präsentieren, aber die ersten Behandlungserfolge stimmen uns sehr optimistisch“, erzählt Brunner zufrieden. Ziel des Ärzteteams ist es, Behandlungserfolge zu erreichen, die es mit den Erfolgsquoten aus der Humanmedizin aufnehmen können.

Krebs beim Pferd behandeln – was kostet das?

Behandlungskosten: Der Kostenrahmen für die Bestrahlung von Pferden liegt je nach Tumor zwischen 3000 und 5000 Euro. Bei niedrigdosierten Schmerzbestrahlungen liegen die Kosten bei ca. 2000 Euro.

Strahlendosis: Für die Berechnung der tumorspezifischen Strahlendosis werden spezielle Computerprogramme verwendet, die als Rechengrundlage die Elektronendichte in den Computertomografie-Bildern des Patienten verwenden. Die Bestrahlungskonzepte werden an die Kleintieronkologie, die Humanmedizin und an Konzepte aus dem Versuchstierbereich an Schweinen angelehnt. Solide wissenschaftliche Daten zum Einsatz der Teletherapie bei Pferden wird es erst mit der Zeit geben.

Über die Autorin

Als Tierärztin horcht Lisa-Marie Petersen gern am Ort des Geschehens nach: Was beschäftigt die Tiermedizin derzeit? Interessante Themen verarbeitet die Fachjournalistin dann in redaktionellen Beiträgen für Print- und Onlinemedien.

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