zum Hauptinhalt
Buchtipp 14. September 2018

Mitten ins Herz getroffen

Susa Bobke nimmt ein verletztes Rehkitz auf und erlebt eine spannende Zeit mit dem vierbeinigen Findelkind.

Inhaltsverzeichnis

Susa Bobke ist leidenschaftliche Jägerin. Eines Abends stoppt sie ihr Motorrad am Straßenrand, ein Warnblinklicht hat ihre Aufmerksamkeit geweckt. Ein Mann steht dort, ziemlich unsicher, aber dennoch sicher genug, sich mit seinem Auto schnell zu entfernen. Er hat ein Rehkitz angefahren. Susa steht da, völlig überrumpelt mit der Situation – und alleine. Sie beschließt, das verletzte Rehkitz mit zu sich nach Hause zu nehmen und es großzuziehen. Eine folgenschwere Entscheidung. Für die Jägerin beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der jede Menge Verantwortung und Geduld von ihr verlangt. Das Rehkitz tauft sie auf den Namen „Schneewittchen“.

Bobke bringt das Rehkitz mit dem gebrochenen Bein zum Tierarzt und füttert es mit Ziegenmilch. Schnell merkt die Reh-Mama, wieviel Zeit es kostet, ein Rehkitz aufzuziehen. Schneewittchen braucht Aufmerksamkeit und Beschäftigung – fast wie ein kleines Kind. Eine echte Herausforderung für die Kfz-Meisterin, die als „Gelber Engel“ sonst liegengebliebenen Autofahrern auf die Sprünge hilft.

Ihre wahre und sehr persönliche Geschichte zeigt, welche spannende Reise Mensch und Tier miteinander erleben. Tierisch dabei hat Susa Bobke zu ihrem ungewöhnlichen Lebenspartner befragt:

Was war Ihre größte Herausforderung als „Reh-Mutter“?

Als das kleine Schneewittchen zu mir kam, musste ich alle zwei Stunden erwärmte Ziegenmilch füttern. Als Tierarzttochter hatte ich als Kind oft Tiere aufgezogen, aber als erwachsene Berufstätige hat das meinen Tagesablauf sehr beeinträchtigt. Nachts mehrmals zum Füttern aufstehen zu müssen, war ganz schön anstrengend.

Anzeige

Wie hat das Zusammenleben mit einem Rehkitz Ihr Leben verändert?

Auf einmal hatte ich keine Zeit mehr für Freizeitaktivitäten. Schon vorher war ich gerne in der Natur unterwegs – ich bin ja auch Jägerin. Mein Blick hat sich verändert, ich begann die Welt mit Rehaugen zu betrachten: Wo wächst was und kann ich das als Konzentratselektierer essen? Was brauche ich, um über den Winter zu kommen? Wo finde ich Schatten, wo Sonne, wo ungefrorenes Wasser und wo sind meine Feinde?


Top Job:


Wie haben Sie den Abschied von dem Rehkitz erlebt?

Es war für mich immer klar, dass Schneewittchen in Freiheit ein artgerechtes Leben führen soll. Deshalb habe ich bald schon begonnen, ihr die Umgebung zu zeigen, in der sie sich alleine zurechtfinden sollte. Einmal folgte sie mir, als ich ins Hallenbad ging, und ich sah sie vom Becken aus, wie sie draußen ihre Nase staunend gegen die Scheibe drückte. Rehe sind ja sehr neugierig. Die große Sorge, dass ihr etwas zustoßen könnte, sie überfahren würde oder ein freilaufender Hund sie reißen könnte, hat mich sehr belastet. Das ist das Schwerste überhaupt: das Loslassen eines geliebten Wesens, das sich einem anvertraut hat. Ob das die eigenen Kinder sind oder die Tiere, die man rettet, aufzieht und auswildert.

Wie kann ein Miteinander von Mensch und Tier in einer wirtschaftlich genutzten Umwelt im Einklang mit der Natur gelingen?

Es kann nur im Kleinen gelingen, glaube ich. Alle wilden Beutetiere, Hasen, Rehe und Bodenbrüter, sind jeden Moment auf dem Sprung. Es gibt fast keine Ruhezonen, in denen sie ungestört sind. Rehe müssen rund um die Uhr ca. alle zwei Stunden Nahrung aufnehmen und wiederkäuen.

Durch Freizeitsportler, Mountainbiker, Geo Casher und Schneeschuhläufer werden sie inzwischen überall ganzjährig gestört. Das wäre nicht nötig, wenn wir Menschen auf unseren Wegen blieben. Man hat festgestellt, dass die Rehe dann sogar sehr nah am Weg ruhig liegen bleiben. Sobald aber Hunde frei laufen, vergrößert sich ihre Fluchtdistanz auf über 50 Meter. Sie reagieren panisch und das zu Recht, denn es werden leider sehr viele Rehe zu Tode gehetzt, oft ohne dass ihre Besitzer das überhaupt mitkriegen.

Unser menschliches Bedürfnis, unseren geliebten Hunden ihre Selbstverwirklichung zu ermöglichen, geht meist auf Kosten anderer, die keine so gute Lobby haben: die namenlosen wilden Tiere.

Die Fragen stellte Louisa Middendorff

Infos zum Buch: Susa Bobke: Wildwechsel, Goldmann 2018, 20 Euro, ISBN 978-3-442-31805

Passend zu diesem Artikel