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Handling 18. August 2017

Nur Mut – Die ängstliche Katze in der Behandlung

Die meisten aggressiven Katzen in der Tierarztpraxis sind einfach nur ängstlich. Ein bewusster Umgang mit dem Tier ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung.

Veterinarian listening to cat's heart.
Veterinarian listening to cat's heart.
Inhaltsverzeichnis

Von Yvonne Lambach

Eine ruhige Atmosphäre ist die beste Basis für die Behandlung ängstlicher Patienten. Daher sollte zunächst eine kritische Überprüfung der allgemeinen Arbeitsabläufe auf störende Geräusche und andere Stressoren erfolgen.

Äußere Ruhe: Angefangen vom Klingelton und der Gesprächslautstärke im Anmeldungsbereich über die Geräuschkulisse im Wartezimmer bis hin zu Geräuschen im Behandlungsraum gibt es viele Möglichkeiten, den Geräuschpegel zu senken.

Innere Ruhe: Das spürt der Patient als erstes – immer wieder sollten wir unseren Gemütszustand überprüfen. Sind wir sehr gestresst oder sehr überschwänglich, kann sich das auf unsere ängstlichen Patienten übertragen oder einschüchternd wirken.

Zeit nehmen und Geduld haben

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Besonders bei ängstlichen oder auch nur sehr schüchternen Patienten ist dies das A und O des Behandlungserfolgs. Von der Vorbereitung über die Ankunft des Patienten, die Begrüßung, die Behandlungsschritte, bis hin zum Einsteigen in den Korb.

Der Katze Freiheit geben


Top Job:


Körperlicher Kontakt sollte nach Möglichkeit völlig freiwillig sein. Selbstverständlich ist es illusorisch, dass dies in allen Fällen hundertprozentig durchzuhalten ist. Allerdings sollten wir uns immer die Zeit nehmen, es zu versuchen und nicht von vornherein annehmen, dass es nicht klappen kann, weil die Katze uns sowieso als Bedrohung empfindet und nicht interessiert ist.

Also: Die Katze selbst entscheiden lassen, wann der Kontakt mit uns beginnen kann. Jedes Tier hat sein eigenes Tempo. So können wir mit viel Geduld Freiheit geben, den neuen Raum zu erkunden und auch die Menschen darin. Damit ermöglichen wir der Katze ein Gefühl von Übersicht und Kontrolle über die Lage.

In einem optimalen Katzen-Behandlungsraum gibt es nur übersichtliche „Verstecke“ wie die Fensterbank, eine speziell hierfür präparierte Schublade, oder einen echten Kratzbaum. Verstecke, aus denen man die Katze herausziehen muss, sind unbedingt zu sichern (z. B. unter oder hinter den Schränken). Welche Positionen sich zur Behandlung einer ängstlichen Katze eignen, lesen Sie hier.

Den Rückzug ermöglichen

Zusätzlich zu Versteckmöglichkeiten im Behandlungsraum sollte der Transportkorb immer ein Raum bleiben, in dem die Katze sich sicher fühlen kann; dort sollten also nach Möglichkeit keine schmerzhaften Prozeduren, wie beispielsweise brennende Injektionen, durchgeführt werden. Als „Versteck“ für den Behandlungsraum bietet sich daher zum Beispiel ein praxiseigener Korb an, der immer wieder neu mit gemütlichen und angenehm riechenden Textilien eingerichtet werden kann.

Über die Kommunikation beruhigen

Es hilft, mit möglichst tiefer Stimme beruhigend zu sprechen; sowohl mit den Katzen, als auch mit den Menschen im Raum. Jeder noch so aufgeregte Besitzer wird irgendwann ebenfalls ruhiger, wenn wir konsequent entspannt kommunizieren. So können wir einwirken, ohne dabei zu berühren.

Selbstverständlich lassen sich Berührungen und auch Fixierungen in der Behandlung nicht vollständig vermeiden, auch wenn der ängstliche Katzenpatient darauf am liebsten ganz verzichten würde.

Individuelle Bedürfnisse berücksichtigen

Ängstliche Katze ist nicht gleich ängstliche Katze. Individuelle Bedürfnisse sollten stets berücksichtigt werden. Notizen in der Kartei zur Persönlichkeit der Katze und zu allen Maßnahmen, die für diesen Patienten gut oder auch gar nicht funktionieren, helfen bei der Vorbereitung des nächsten Besuchs. Nachhaltig ist eine im Team vereinbarte Begrifflichkeit für die verschiedenen Katzen-Persönlichkeiten, sodass auch alle wissen, was sie erwartet. Ein einfaches „CAVE“ hilft da in der Regel nicht weiter, sondern sorgt nur für große Aufregung.

Der Griff in den Medikamentenschrank

Auch hier gilt: Mit guter Vorbereitung zur stressfreien Katzenpraxis. Wenn wir sanfte Präparate geplant einsetzen, können wir eine Wirkung erzielen, die einer Sedation vergleichbar ist bzw. kann es helfen, eine Vollnarkose zu vermeiden.

Unser oberstes Ziel ist eine entspannte Katze in einer entspannten Atmosphäre. In einigen Fällen kann beispielsweise der Einsatz von Pheromonen oder Futterzusätzen auch den Besitzer unterstützen, der den Tierarztbesuch oft ebenfalls leidvoll erlebt. Es gibt ihm die Möglichkeit, aktiv etwas tun.

Der sanfte Weg

  • Pheromone: beispielsweise Feliway® als Spray zur Behandlung von Decken, Handtüchern und Händen bzw. Kleidung, als Zerstäuber für die Dauernutzung im Praxisraum.

  • Futterzusätze: eignen sich gut bei planbaren Besuchen, da eine gewisse Vorlaufzeit (mind. 4–5, besser 10 Tage) notwendig ist.

  • Alpha-Casozepin (z. B. Zylkene®) hat eine insgesamt beruhigende Wirkung auf Hunde und Katzen, sollte allerdings bei Allergikern nur nach eingehender Abwägung der Vor-/Nachteile eingesetzt werden. (Nicht einzusetzen bei bekannter Unverträglichkeit gegen Rind!)

  • L-Tryptophan (z. B. Relaxan®, Protexin®, Cystophan)

Verschreibungspflichtige Wirkstoffe

Präparate, die beruhigend, jedoch nicht paralytisch wirken, sollten insbesondere bei ohnehin schon ängstlichen Patienten definitiv bevorzugt werden. Daher ist Acepromazin bei ängstlichen Patienten generell nicht zu empfehlen, da hier nur eine Ruhigstellung, nicht aber eine Beruhigung eintritt. Somit werden Ängste möglicherweise potenziert (eben wie bei der Behandlung von Geräuschängsten, z. B. um Silvester). Besser eignen sich:

  • Benzodiazepine: Alprazolam, das in Tablettenform oral verabreicht werden kann; Midazolam als Injektion oder transmukosal; Diazepam als Injektion oder transmukosal (oral/rektal) – sehr kurz wirksam; Lorazepam (in Tablettenform)

  • Gabapentin in höherer Dosierung als zur Schmerzlinderung eingesetzt, ermöglicht bei der Katze eine sehr schöne orale Sedation (ca. drei Stunden vor geplanter Ankunft).

  • Opioide: Bei sehr empfindsamen Patienten empfiehlt sich der Verzicht auf Injektionen. Wenn dies jedoch nicht möglich ist, kann zur Schmerzstillung vorab ein über die Schleimhäute zu verabreichendes Opiod eingesetzt werden (Butorphanol oder Buprenorphin).

Zur tiefen Sedation kann in Kombination mit Butorphanol sehr gut Dexmedetomidin eingesetzt werden – hier unbedingt die blutdrucksenkende Wirkung berücksichtigen! Zu einer Kurznarkose mit starker Analgesie kann zusätzlich Ketamin kombiniert werden.

Alles halb so schlimm!

Wenn wir die Persönlichkeit des Patienten wahrnehmen und bei unserem Handeln stets berücksichtigen, kann auch eine zunächst angst-aggressive Katze in der Regel gut behandelt werden. Aus deren Sicht sieht das Fazit dann hoffentlich so aus: „Das war heute gar nicht so schlimm, wie Frauchen und Herrchen gesagt haben“. So wie bei Gustav, dem chronisch kranken und sehr ängstlichen Patienten in der untenstehenden Bildergalerie, der seinen Weg gefunden hat, regelmäßige Kontrolluntersuchungen mit Blutentnahme zu überstehen (Dank an Dr. K. Beyer, Düsseldorf).

Über die Autorin

Yvonne Lambach ist Tierärztin an der Tierklinik Norderstedt, Mitglied der Deutschen Gruppe Katzenmedizin und stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe Katzenmedizin der DGK-DVG.

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