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Kastration

Rüdenbändigung? Vor- und Nachteile einer Kastration

Fast alle Hundehalter beschäftigen sich irgendwann mit der Frage der Kastration des eigenen Hundes. Welche medizinischen Indikationen und therapeutischen Effekte sind beim Rüden relevant?

Geschlechtsreife Rüden sind häufig schwer zu handeln, wenn läufige Hündinnen in der Nähe sind.
Inhaltsverzeichnis

Von Dr. med. vet. Gabriele Schanen

Die Gründe für eine Kastration sind vielfältig: Es gibt eindeutig medizinische Indikationen, den Wunsch, unkontrollierte Fortpflanzung im Mehrhundehaushalt zu verhindern oder auch die Hoffnung, dass sich unerwünschtes Verhalten ändert. Das deutsche Tierschutzgesetz gibt in § 6 einen genauen Rahmen vor, in dem eine Kastration beim Hund durchgeführt werden darf. Generell erfordert jede Kastration eines Hundes eine Einzelfallprüfung.

Rüden können in jedem Alter kastriert werden. Empfehlenswert ist die Kastration erst nach dem Eintritt der Geschlechtsreife im Alter von 5–7 Monaten.

Frühkastrationen vor dem Eintritt der Pubertät sind in den seltensten Fällen indiziert. Da Rüden in diesem Alter meist hormonell noch nicht aktiv sind, stehen Indikationen wie Haltungserleichterungen in einem Haushalt mit Hunden unterschiedlichen Geschlechts, Verbesserung des Verhaltens, Verhinderung von Nachwuchs bzw. Therapie und Vorbeugung von hormonell bedingten Erkrankungen noch nicht im Vordergrund. Zudem besteht ein höheres Narkoserisiko, da die Leberenzyme ebenso wie die tubuläre Sekretionsfähigkeit der Nieren, die für die Metabolisierung und Elimination der Narkotika verantwortlich sind, eine postnatale Reifungsphase von mindestens sechs Monaten benötigen.

Bei der Kastration eines Rüden sollten Vor- und Nachteile genau abgewogen und die Besitzer entsprechend beraten werden.

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Chirurgische versus chemische Kastration

Im Regelkreis der Sexualhormone (hypothalamisch-hypophysär-gonadotrope Achse) wird Gonadotropin Releasing Hormon (GnRH) stoßweise (pulsatil) aus dem Hypothalamus freigesetzt und bewirkt im Hypophysenvorderlappen (Hirnanhangsdrüse) die Ausschüttung der gonadotropen Hormone LH und FSH. Das luteinisierende Hormon (LH) stimuliert die Leydigzellen der Keimdrüsen (Gonaden) und bewirkt die Ausschüttung des Androgens Testosteron. Testosteron und das Follikel-stimulierende Hormon (FSH) wirken auf die Sertolizellen der Samenkanälchen (Tubuli seminiferi contorti) im Hoden und fördern die Entwicklung und Reifung der Spermien.

Bei chirurgischer Entfernung der Hoden (bilaterale Orchektomie) wird obiger Regelkreis auf Höhe der Gonaden unterbrochen: Der Testosteron-Blutspiegel ist dadurch deutlich reduziert; nur ein geringer Anteil an schwächer wirksamen Androgenen wie Dehydroepiandrosteron (DHEA), Dehydroepiandrosteron-Sulfat und Androstendion wird noch in der Zona fasciculata und Zona reticularis der Nebennierenrinde gebildet.

Eine Sterilisation, d. h. doppelte Legierung des Samenleiters und Durchtrennung des Samenstranges (Vasektomie) mittig zwischen beiden Abbindungen ohne Entfernung der Hoden, wird heutzutage nicht mehr durchgeführt oder empfohlen. Sie führt nur zu einer permanenten Unfruchtbarkeit des Rüden und kann u. a. als Nebenwirkung zu Hodenzysten führen. An deren Stelle ist die reversible, chemische Kastration getreten. Die hormonelle Kastration wird meist bei Rüden eingesetzt, die für die Zucht geplant sind und momentan nicht decken sollen. Eine weitere Indikation ist die Probekastration, um mögliche individuelle Nebenwirkungen und Risiken einer Kastration wie Harninkontinenz oder Verhaltensveränderungen auszutesten. Ebenso wird sie bei bestehenden Kontraindikationen für eine chirurgische Kastration (wie erhöhtes Narkoserisiko, hohes Alter des Rüden oder bei bekannter Hämophilie [Bluter]) eingesetzt.

Für die chemische Kastration gibt es das in Deutschland zugelassenes GnRH-Agonist-Depotimplantat (Deslorelinacetat; Suprelorin®). Am Anfang wird der Hypophysenvorderlappen durch Deslorelinacetat dauerhaft stimuliert – mit daraus folgender vermehrter Freisetzung von Gonadotropinen und Testosteron. In den ersten 4 Wochen nach Ersteinsatz von Deslorelinacetat sind die Rüden teilweise deutlich verhaltensauffälliger und triebgesteuerter. Dies kann und sollte insbesondere bei Rüden mit vorberichtlicher Aggression durch Zugabe von Progestagenen wie Tardastrex® (momentan nicht mehr im Handel) oder – nach Umwidmung – Androcur® in den ersten Wochen abgefangen werden. Vor allem bei Verhaltensproblemen wird eine Vorbehandlung mit Androcur® täglich oral über 5 Tage/Monat oder subkutan 14 Tage vor Suprelorin®-Gabe angeraten.

Nach Erschöpfung und Ermüdung der GnRH-Rezeptoren am Hypophysenvorderlappen (Desensibilisierung und Down-Regulation der GnRH-Rezeptoren) sinkt dann langfristig der Testosteron-Spiegel im Blut – äußerlich erkennbar an den sichtbar kleiner gewordenen Hoden. Die Dauer der Wirkung des Hormonimplantates hängt von der applizierten Konzentration ab. Die hormonelle Kastration hält mit dem 4,7 mg Suprelorin®-Chip durchschnittlich 6 Monate, mit dem 9,4 mg Suprelorin®-Chip ca. 1 Jahr an. Die nachlassende Wirkung erkennt man an der wieder einsetzenden Größenzunahme der Hoden.

Zuchtrüden sollten in den ersten sechs Wochen nach der Erstbehandlung von deckbereiten Hündinnen ferngehalten werden, da eine Infertilität erst ab einem Zeitraum von 6 Wochen bis 6 bzw. 12 Monaten nach der Suprelorin®-Erstimplantation eintritt.

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Seltene Nebenwirkungen sind eine idiosynkratische Hepatitis oder vorübergehendes Auftreten von epileptiformen Anfällen. Ein kausaler Zusammenhang mit Setzen des Chips konnte bislang nicht nachgewiesen werden; es wird angenommen, dass bereits vor Einsetzen des Implantates eine Prädisposition für eine Hepatitis oder Epilepsie bestand. Bei Nebenwirkungen wird die operative Entfernung des Chips angeraten; daher ist es wichtig, einen Vermerk in der Kartei zu machen, an welcher Stelle der Chip subkutan implantiert wurde.

Der Einsatz von Deslorelinacetat bei Rüden vor Eintritt der Geschlechtsreife wird nicht empfohlen; es besteht ein theoretisches Risiko, dass es durch die Größenabnahme des Hodens und des noch relativ weiten Inguinalspaltes zu einem medikamentös bedingten Kryptorchismus kommen kann. Ebenso sollte der Chip nicht bei kryptorchiden Rüden eingesetzt werden, da unter anderem inguinal gelegene Hoden wieder in den Leistenring aufsteigen könnten.

Medizinische Indikationen für die chirurgische Kastration

Missbildungen

Bei angeborenen Missbildungen wie Intersexualität ist neben der chirurgischen Korrektur auch immer eine Kastration nötig. Bei Zwittern sind vulvaähnliche Strukturen mit einem verkleinerten Penis (siehe Abb. 1a und 1b) und teilweise im Bauchraum liegenden Hoden bzw. Uterus-/Ovaranlagen zu finden.

Ebenso sollte bei Kryptorchismus (Lageanomalie des Hodens; siehe Abb. 2a und b) zumindest der inguinal oder abdominal gelegene Hoden entfernt werden. Der Hodenabstieg in das Skrotum ist normalerweise am Tag zehn nach der Geburt beendet, kann aber in seltenen Fällen auch verspätet erst in der 8.–12. Lebenswoche vollständig abgeschlossen sein. Spätestens ab dem Alter von sechs Lebensmonaten kann ein eventuell noch im Leistenkanal gelegener Hoden nicht mehr absteigen, da sich zu dieser Zeit der Leistenspalt verschließt.

Eine Zucht mit diesen Rüden ist aus genetischen Aspekten (homozygoter Erbgang) nicht erlaubt, eine vollständige Kastration ist zu empfehlen. Aus eben diesen Gründen ist auch der Versuch einer hormonellen Behandlung (humanes Choriongonadotropin/HCG oder GnRH-Analoga wie Buserelin) mit dem Ziel der Erhöhung des endogenen LH-Spiegels zur Unterstützung des Hodenabstiegs bei Rüden jünger als 6 Monate nicht anzuraten und auch wenig erfolgversprechend. Ebenso ist die chirurgische Verlagerung des kryptorchiden Hodens und Fixation des Hodens im Skrotum (Orchidopexie) durch Zug am Gubernaculum testis und mechanisches Dehnen des Ductus deferens in mehreren Sitzungen nicht mehr zu empfehlen. Durch den Zug und eine zu starke Spannung an den Gefäßen (A. und V. testicularis) kann es zudem für den Rüden zu unnötigen Schmerzen bei dieser rein kosmetischen Operation kommen.

Es besteht eine deutliche Prädisposition, dass der nicht-abgestiegene Hoden neoplastisch entartet. Vor allem Östrogen-produzierende Sertolizelltumore treten im Gegensatz zu Androgen-produzierenden Leydig-Zwischenzelltumoren sowie Seminomen gehäuft in kryptorchiden Hoden auf.

Hodentumoren/hormonelle Dysfunktion

Drei Formen von hormonell aktiven Hodentumoren (siehe Abb. 3) werden bei Rüden am häufigsten beobachtet: der Leydigzelltumor, das Seminom oder der Sertolizelltumor. Beim Sertolizelltumor kann es zur Anbildung des Gesäuges kommen (Gynäkomastie; siehe Abb. 4). Erhöhte Östrogen- bei erniedrigten Testosteron-Blutwerten kommen vor allem beim Sertolizelltumor vor. Jedoch ist die Bestimmung von Östrogenen im Blut für eine Diagnosestellung weniger zuverlässig, da jeder Rüde individuelle Referenzbereiche hat und Östradiol auch extragonadal in ektopischen Geweben im Samenstrangbereich gebildet werden kann.

Zudem sollte ein Kontakt der Hunde mit Östrogen-haltigen Hautsalben der Besitzer v. a. bei Hunden mit kurzem Haarkleid abgeklärt werden, da durch direkten, regelmäßigen Hautkontakt (bei Tragen kleiner Hunderassen auf dem Arm oder Schlafen der Hunde im Bett der Besitzer) passiv erhöhte Östrogenblutwerte mit klinischen Symptomen vorkommen können. Diese sind nach Wegfall des Kontaktes wieder reversibel. Das bei Harninkontinenz des Rüden selten eingesetzte Medikament Incurin® (kurz- und schwach-wirksames Estriol) kann ähnliche Symptome auslösen.

Klinische Symptome eines Hyperöstrogenismus sind neben der erwähnten Gynäkomastie ein hängendes Präputium, ein lineares präputiales Erythem mit symmetrischer, nicht-juckender Alopezie (zirkulär am Hals, ventral, perineal und genital) sowie eine verdickte und hyperpigmentierte Haut (Lichenifikation) mit z. T. trockener oder öliger Seborrhoe. Phasenweise kann es auch zur Prostatavergrößerung und Prostatitis kommen. Selten kann der Hyperöstrogenismus zu Knochenmarksschädigungen (Myelosuppression) mit aplastischer Anämie und Blutungsneigung führen. Eine sich daraus entwickelnde Panmyelophthise (Schwund blutbildender Zellen im Knochenmark) ist im Anfangsstadium noch reversibel; das Knochenmark kann sich nach rechtzeitiger Kastration wieder vollständig erholen. Hodentumore besitzen eine geringe Metastasierungstendenz und wenn, dann in die regionären Lymphknoten.

Eine Vergrößerung und Entzündung der Viol´schen Drüse (rudimentäre Schwanzansatzdrüse) mit Alopezie wird ebenfalls häufig im Zusammenhang mit Hodentumoren gesehen.

Bei Alopezie und Haarkleidveränderungen findet man im Trichogramm (native mikroskopische Untersuchung entnommener kleiner Haarbüschel) einen telogenen Arrest (Ruhephase im Haarwachstumszyk-lus) mit Hinweis auf eine hormonelle Dysfunktion.

Durch einen Vorhautabstrich kann zytologisch der Verdacht eines Östrogen-bildenden Hodentumors bestätigt werden: Hierbei finden sich > 20 % Superfizialzellen im Ausstrich. Superfizialzellen sind eckige Zellen mit sehr großem Durchmesser (am Rand häufig in leichte Falten gelegt) und mit einem großen Zellkern; sie entstehen durch den Östrogeneinfluss auf die Präputialschleimhaut mit Proliferation/Dickezunahme und Keratinisierung der Zellschichten des Präputialepithels.

Bei allen Hodentumorarten ist die chirurgische Kastration Mittel der Wahl. Rüden mit hohem Narkoserisiko oder Multimorbidität könnten bei Östrogen-produzierenden Hodentumoren mit Östrogenrezeptorblockern bzw. Aromataseinhibitoren wie Tamoxifen oder Anastrazol behandelt werden.

Abb. 12:
Ermittlung des Zyklusstands mittels Vaginalzytologie
Die physiologischen hormonellen Veränderungen am Vaginalepithel kann man mittels eines Scheidenabstrichs und nachfolgender zytologischer Untersuchung nachweisen und somit den Zyklusstand einer Hündin charakterisieren.

Tumoren der Zirkumanaldrüsen

Tumoren der Zirkumanaldrüsen (sogenannte hepatoide Drüsen) in der Peripherie des Anus treten besonders beim männlichen Hund, im speziellen bei intakten Rüden auf. Gutartige Adenome (einzeln oder multipel, rund mit glatter Oberfläche oder ulzeriert) sind dabei häufiger zu beobachten als Karzinome. Adenome sind hormonabhängig, enthalten Rezeptoren für Androgene, Östrogene und Wachstumshormon. Eine Kastration zeigt somit gute Therapieerfolge mit vollständiger Regression des Tumors, der Tumor selbst muss in diesem Fall nur bei störenden, ulzerierten Tumoren und Rezidiven entfernt werden. Die Rezidivneigung nach Kastration ist jedoch sehr gering.

Hodentorsion

Bei abdominal gelegenen Hoden ist gelegentlich eine Torsion mit nachfolgender Strangulation der Gefäße und Nekrose beschrieben. Die Rüden werden als Notfall vorgestellt, zeigen Symptome eines akuten Abdomens und müssen umgehend kastriert werden.

Sticker-Sarkom

Das Sticker-Sarkom (transmissible venereal tumor) ist ein infektiöser Rundzelltumor. Klinische Erscheinungsbilder beim Rüden sind blumenkohlartige, leicht blutende Umfangsvermehrungen im Bereich des Penis. Der Tumor ist aber auch im Bereich der Maul- und Nasenhöhle, der Haut und am Auge zu finden.

Die Hauptübertragung erfolgt durch den Geschlechtsakt und das Beschnuppern. Eine Kas- tration ist in diesem Fall nicht heilend, dient nur dazu, dass der Rüde durch den Deckakt die Tumorzellen nicht weiter auf die Hündin überträgt. Therapie der Wahl ist die Chemotherapie mit Vincristin; chirurgische Resektionen führen aufgrund der hohen Rezidivrate nicht immer zu den gewünschten Erfolgen.

Canine Brucellose/Hodenentzündung, Skrotitis

Das Bakterium Brucella canis kommt vor allem in Ländern mit einer großen Population streunender Hunde vor. Bei Hunden aus dem Ausland mit Symptomatik sollte deshalb eine serologische Untersuchung auf Antikörper erfolgen.

Die Infektion erfolgt über die Schleimhäute oder kleinere Hautverletzungen. Über die Blutbahn (nach Phagozytose durch Makrophagen) gelangen die Bakterien zu den Geschlechtsorganen. Beim Rüden zeigen sich Symptome wie Fieber, Hoden- und Nebenhodenentzündungen, Entzündungen des Skrotums, Hodenabszesse, schmerzhafter steifer Gang in der Hinterhand sowie Diskospondylitis. Eine vollständige Erregerelimination wird auch durch Antibiotika-Therapie nicht erreicht. Die Prostata gilt als Erregerreservoir. Zur Verringerung der Erregerausscheidung sollten betroffene Rüden unbedingt kastriert werden. Brucellose ist eine meldepflichtige Erkrankung.

Kastration bei Androgen-abhängigen Erkrankungen

Benigne Prostatahyperplasie (BHP, siehe Abb. 5): Symptome einer primär nicht entzündlichen, benignen Prostatavergrößerung sind erschwerter Kotabsatz mit längerem Drücken auf Kot, abgeflachter Kot und Blutstropfen unabhängig vom Urinabsatz an der Penisspitze.

Bei Prostatavergrößerung des Rüden (Zunahme der Zellzahl/Hyperplasie und Zunahme der Zellgröße des Drüsenepithels/Hypertrophie) wächst die Prostata beim Hund durch androgene Stimulation im Gegensatz zum Menschen nach außen, da die Androgenrezeptoren vor allem in der Peripherie der Drüse liegen. Somit wird der darüber liegende Enddarm z. T. stark komprimiert und es kommt durch diesen Engpass zu den beschriebenen Kotabsatzbeschwerden. Durch das ständige Pressen auf Kot kann die bindegewebige Verbindung der Damm-Muskulatur (Perineum) reißen und es entsteht neben dem Anus ein- oder beidseitig eine nach außen hin sichtbare Aussackung, in die sich unter anderem der kotgefüllte Enddarm einstülpen kann (Perinealhernie). Bei chirurgischer Korrektur einer Perinealhernie sollte eine Kastration immer empfohlen und durchgeführt werden.

Die Blutungen aus dem Penis stammen aus den gutartigen Zysten im Prostatagewebe, die sich über die Verbindung zur Harnröhre sporadisch entleeren. Die kleinen zystischen Erweiterungen der Drüsenläppchen (intraprostatische Zysten) entstehen durch Verlegung der Ausführungsgänge (Metaplasie des Ductusepithels und Behinderung des Sekretflusses) oder Hypersekretion. Ein röntgenologisch verdächtiger Befund für eine Prostatavergrößerung ist in der laterolateralen Aufnahme eine Prostata, die mehr als 2/3 des ventro-dorsalen Beckendurchmessers einnimmt.

Die Ultraschalluntersuchung ist Mittel der Wahl bei der Diagnosestellung. Das Volumen der Prostata korreliert mit dem Körpergewicht und variiert altersbedingt stark. Anhand von Formeln kann eine Prostatavergrößerung individuell ermittelt werden: aktuelles Volumen [= Länge (L) x Breite (B) x Höhe  (H) x 0,523] geteilt durch geschätztes Volumen (0,33 x Körpergewicht in kg x 3,28). Werte > 2,5 sprechen dann für eine Prostatavergrößerung bei diesem Tier.

Die Konzentration der Canine-Prostate-Specific-Esterase (CPSE) im Blut ist bei benigner Pros- tatahyperplasie und anderen Prostataerkrankungen signifikant erhöht. Diese Enzymbestimmung kann jedoch nicht zur Unterscheidung zwischen einer benignen Prostatahyperplasie, Prostatitis oder Neoplasie herangezogen werden.

Eine Verkleinerung der Prostata erfolgt durch Androgenentzug; dies wird erreicht durch die Gabe von Osateronacetat-Tabletten (Ypozane®), 5α-Reduktase-Hemmer Finasterid (Proscar®, in der EU nicht zugelassen), GnRH-Analoga (Suprelorin®) oder die chirurgische Kastration.

GnRH-Implantate (Suprelorin®) sollten bei Vorliegen von intraprostatischen kleinen Zysten vorsichtig und nur unter Begleittherapie mit Ypozane® gegen den Flare-Up eingesetzt werden. Sie führen bei Ersteinsatz zu einer Steigerung der Gonadotropin- und damit auch Testosteronausschüttung über ca. einen Monat; infolge dieses initialen Anstiegs des Testosteron-Spiegels kann es deshalb zu einer Hypersekretion der Drüsen mit Entwicklung großer intraprostatischer Zysten kommen.

Paraprostatische Zysten: Neben den meist kleinlumigen intraprostatischen Zysten können sich auch größere, gutartige flüssigkeitsgefüllte Zysten aus dem Prostataparenchym entwickeln. Sie haben im Gegensatz zu den intraprostatischen Zysten in der Regel keine Verbindung zur Urethra. Sonografisch stellen sie sich als große hypoechogene, der Prostata angrenzende Rundherde dar, die neben der Harnblase weit in das kraniale Abdomen reichen können. Sie können steril oder bakteriell infiziert sein. Je nach Befund erfolgt dann die chirurgische Behandlung (Omentalisierung oder Marsupialisation) zusammen mit der Kastration.

Prostatitis: Eine Prostataentzündung kann sich im Rahmen einer bakteriellen Entzündung der Harnorgane und durch über die Harnröhre aufsteigende Bakterien entwickeln. Symptome einer Prostatitis sind Fieber, Apathie, schmerzhafter Kot- und Urinabsatz sowie eine Pyurie (Bakterien und Leukozyten im Urin).

Schritt 1: Kotprobe aufnehmen
Die Verschlusskappe wird geöffnet und der grüne Einsatz herausgenommen. Mit dem Ende des Einsatzes kann die Kotprobe problemlos aufgenommen werden.
Flotationsverfahren in der Tierarztpraxis
Kotuntersuchungen mithilfe des Flotationsverfahrens gehören zum Praxisalltag. Wir zeigen Ihnen, wie Sie dieses koproskopische Nachweisverfahren mit einem Testkit korrekt durchführen.

Prostatagewebe ist sehr fettreich, deshalb werden nach Erstellen eines Antibiogramms bevorzugt gut fettlösliche Antibiotika wie Enrofloxacin bei schwerwiegender Prostatitis eingesetzt. Um Rezidiven vorzubeugen, ist auch hier die Kastration Therapie der Wahl.

Präputialkatarrh: Hierbei verliert der Rüde im Rahmen von Regenerationsprozessen der Präputialschleimhaut in unregelmäßigen Abständen gelbliches, dickflüssiges Sekret (Smegma) aus der Vorhaut. Dies ist jedoch für den Tierhalter eher ein hygienisches Problem im Haushalt als eine echte Erkrankung. Präputialspülungen mit Präparaten wie Caniprevent® können in leichteren Fällen das Problem beheben.

Wollhaar-Syndrom (durch Kastration behebbare Dermatose des Rüden/Kastrations-reaktive Dermatose, Testosteron-abhängige Dermatose, Alopecia X): Das Haarkleid ist anfangs flauschig und gekräuselt und später, bevor es ausfällt, stumpf und spröde. Manchmal verblassen dunklere Haarfarben. Im Vordergrund steht eine symmetrische Alopezie an der Kruppe, der Rute, dem Perineum, an den kaudomedialen Flächen der Oberschenkel, dem ventralen Abdomen und Thorax sowie rund um den Hals. Kopf und Gliedmaßen bleiben meist behaart. Häufig ist die unbehaarte Haut schuppig-trocken, hyperpigmentiert und dunkel (Black Skin Disease). Die Hoden sind palpatorisch und sonografisch unauffällig. Es liegt ein rein kosmetisches Problem vor, die Hunde sind ansonsten gesund und zeigen keine anderen Beschwerden. Nach Ausschluss anderer endokrinologischer Erkrankungen kann nach Setzen eines Hormonchips (Suprelorin®) oder einer Kastration z. T. eine Besserung des klinischen Bildes beim Rüden eintreten.

Unerwünschtes Verhalten: Unerwünschtes Verhalten wie Aggressivität gegenüber anderen Rüden (z. T. auch Hündinnen oder Personen außerhalb des Familienkreises), Markieren im Haus oder Hypersexualität (Besteigen von Spielsachen, Kissen, Menschen und Artgenossen) kann durch eine Kastration um 60–90 % reduziert werden. Eine Ausnahme bildet hier das erlernte Verhalten bei älteren Rüden. Aggressivität im Zusammenhang mit der Verteidigung von Futter oder Angst bleibt jedoch bestehen.

Das Streunen wegen läufiger Hündinnen kann durch die Kastration bei ca. 60 % der Rüden unterbunden werden. Die Gefahr schwerwiegender Verletzungen im Straßenverkehr und von Verkehrsunfällen kann so deutlich minimiert werden. Die Kastration v. a. bei erlernten unerwünschten Verhaltensweisen hat keine nennenswerten medizinischen Vorteile; somit empfiehlt man in diesen Fällen die „Probekastration“ mit einem Hormonchip (Suprelorin®).

Epilepsie: Die Kastration beim Rüden bietet keine Vorteile; unkastrierte, für eine Epilepsie prädisponierte Rüden entwickeln sogar eher später eine klinische Epilepsie als kastrierte.

Nachteile einer Kastration

Gewichtszunahme

Testosteron ist ein Appetitzügler. Nach Wegfall dieses Hormons durch die Kastration ist Übergewicht die häufigste negative Folgeerscheinung. Prädisponiert sind unter anderem Rassen wie der Labrador Retriever oder Beagle. Das weiße Fettgewebe ist ein großes endokrin funktionierendes Organ: Fettzellen/Adipozyten sezernieren Leptin; Leptin stimuliert die Lipolyse und kontrolliert den Appetit über neuronale Zellen am Hypothalamus. Es fördert so das Sättigungsgefühl nach der Futteraufnahme. Adipositas mit Erhöhung der Adipozyten und dadurch erhöhten Leptinkonzentrationen im Blut führt zu einer Leptinresistenz im Hypothalamus, der physiologische Feedback funktioniert nicht mehr, Folge ist eine Appetitstimulation.

Übergewicht birgt Risiken für Erkrankungen v. a. des Bewegungsapparates wie Kreuzbandrisse oder Bandscheibenbeschwerden bei Vorbelastung. Auch ein sekundärer Diabetes mellitus durch Hyperlipidämie mit Degeneration der β-Zellen durch erhöhte Insulinsekretion und nachfolgend relativem Insulinmangel kann Folge der Adipositas sein.

Fellveränderungen

Symmetrischer Haarausfall um den After und im Bereich der Genitalregion sowie an den Flanken tritt nur selten auf. Rassen mit Seidenfell können nach der Kastration wieder ein Welpenfell mit vermehrter Unterwolle entwickeln.

Attraktivität für intakte Geschlechtsgenossen

Aus unbekannten Gründen kann ein geringer Prozentsatz der kastrierten Rüden attraktiv für intakte Geschlechtsgenossen werden.

Harninkontinenz

Das Risiko des Harnträufelns nach einer Kastration bei großwüchsigen Rüden ist nicht so hoch wie bei der Hündin. Bei Rüden jedoch, die bereits vor der Kas- tration eine Schwäche des Harnblasen- und Prostataschließmuskels vorwiesen, verschlimmert sich das Problem häufig.

Tumorerkrankungen

Kastration erhöht das Risiko für Prostatakarzinome (Adenokarzinom, Übergangsepithelkarzinom, Plattenepithelkarzinom, undifferenziertes Sarkom) um das 4-Fache (v. a. bei Mischlingen, Sheltie, Scottish Terrier, Beagle, englischer Springerspaniel, Deutscher Kurzhaarpointer, West Highland White Terrier; siehe Abb. 6a und 6b).

Übergangsepithelkarzinome der Harnblase und Harnröhre treten gehäuft bei kastrierten Hunden auf; v. a. der Scottish Terrier scheint für Übergangszellkarzinome prädisponiert zu sein. Analdrüsenkarzinome sind ebenfalls v. a. beim kastrierten Rüden beschrieben.

Die Risikoerhöhung für seltene Tumorerkrankungen nach einer Kastration (Mastzelltumor, Lymphosarkom, Hämangiosarkom, Osteosarkom) ist zwar gering, sollte jedoch bei Risikorassen beachtet und der Besitzer darauf hingewiesen werden.

Rechtliche Grundlagen: § 6 des Tierschutzgesetzes

(1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. Das Verbot gilt nicht, wenn 1. der Eingriff im Einzelfall

    a) nach tierärztlicher Indikation geboten ist

… 5. Zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder – soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen – zur weiteren Nutzung oder Haltung des Tieres eine Unfruchtbarmachung vorgenommen wird.

Eingriffe nach Satz 2 Nr. 1 und 5 sind durch einen Tierarzt vorzunehmen.

Empfehlungen zur Vermeidung von Übergewicht nach einer Kastration

Medizinische Indikationen für die Kastration des Rüden

  • Kryptorchismus (ein- oder beidseitig)
  • Präputialkatarrh
  • Prostatitis
  • Prostatahyperplasie/Perinealhernie
  • Perianaladenome/Tumore der Zirkumanaldrüsen
  • genetische Erkrankungen/Ausschluss aus der Zucht
  • Orchitis/Skrotitis
  • Hodentorsion
  • Intersexualität/Intersexe
  • Wollhaar-Syndrom
  • Sticker-Sarkom (transmissible venereal tumor)
  • Hämaturie; blumenkohlartige, rote, gut vaskularisierte
  • Umfangsvermehrung am Penis
  • Bruzellose
  • Hodentumor – Leydigzelltumor – Seminom – Sertolizelltumor = Hyperöstrogenismus

Kastration des Rüden bei unerwünschtem Verhalten

Hier kann eine Kastration helfen

  • Streunen aufgrund läufiger Hündinnen in der Nachbarschaft
  • Markieren im Haus

Hier führt eine Kastration nicht zum Erfolg

  • Angstaggression = cortisolabhängige Aggression
  • Futterverteidigung = cortisolabhängige Aggression
  • Selbstverteidigungs-Aggression (gesteuert durch Adrenalin/Noradrenalin)
  • Jungtierverteidigung und Infantizid (Steuerung über Prolaktin; hoher Testosteron-Spiegel hemmt Prolaktin – daher nicht kastrieren)
  • Partnerschutz-, Status- und Wettbewerbsaggression (Steuerung über Vasopressin [Eifersuchtshormon] und Oxytozin [Bindungshormon]
  • Streunen (pränatal angelegt, postnatal nicht beeinflussbar)
  • Jagd- und Beutefangverhalten (visueller Anreiz)
  • Hypersexualität (sexuelle Aktivitäten aktivieren das Dopaminsystem [selbstbelohnende Wirkung]; kastrierte Rüden zeigen bei Anwesenheit einer läufigen Hündin komplettes Paarungsverhalten inkl. Hängen, auch noch jahrelang nach Kastration)

Über die Autorin

Gabriele Schanen ist Fachtierärztin für Kleintiere und in der AniCura Tierklinik Trier GbR tätig.

Kontakt zur Autorin: www.tierklinik-trier.de

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