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Tierische Therapeuten 1. Oktober 2021

„Tiere haben keine Vorurteile“

Hans-Willi Bornscheuer bildet Tiere für die tiergestützte Therapie aus und hilft so psychisch kranken Menschen.

Gut für die Psyche: Auch  Tiere können Therapeuten sein. 
Gut für die Psyche: Auch  Tiere können Therapeuten sein. 
Inhaltsverzeichnis

Es gibt Menschen, die einen Job haben und Menschen, die ihre Berufung ausleben dürfen. Bei Hans-Willi Bornscheuer trifft Letzteres zu. Der gelernte Krankenpfleger arbeitet seit 1990 in der Psychiatrie Vitos Haina. Vitos ist Hessens größter Anbieter für die Behandlung psychisch kranker Menschen. Die Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte arbeiten Hand in Hand, um Patienten auf ihrem Weg der Genesung bestmöglich zu unterstützen. Die Idee zur tiergestützten Therapie kam durch ein Schlüsselerlebnis auf. „Ich bin mit einem pferdebegeisterten Klienten zum Gestüt einer befreundeten Ärztin gefahren. Die Freude und Dankbarkeit in den Augen meines Klienten, der endlich wieder Tierkontakt hatte, werde ich nie vergessen. Da wurde mir klar, dass ich mehr daraus machen muss“, erzählt der 50-Jährige mit funkelnden Augen.

Die tiergestützte Therapie

Gesagt, getan und so machte Bornscheuer 2010 eine Ausbildung zum tiergestützten Therapeuten am „Institut für soziales Lernen mit Tier“ von Ingrid Stephan in der Wedemark. Tiergestützte Therapieverfahren sind alternativmedizinische Behandlungsverfahren zur Heilung oder zumindest Linderung der Symptome bei psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen und Behinderungen, bei denen Tiere eingesetzt werden. Die tiergestützte Therapie soll den Klienten dabei helfen, soziale Fähigkeiten neu zu entdecken, ihre Fähigkeiten zu erhalten oder weiterzuentwickeln.

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Lamas, Esel, Schweine und co. leben bei Vitos Haina

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Herr Bornscheuer ist der Leiter der tiergestützten Therapie bei Vitos. Dort leben mittlerweile Lamas, Esel, Ponys, Schweine, Schafe, Enten, Hühner, Kaninchen, Meerschweinchen, Frettchen und Landschildkröten. „Durch die Vielfältigkeit an Tieren können die Klienten frei nach ihren Interessen entscheiden, mit welchen Tieren sie sich beschäftigen wollen“, erklärt Bornscheuer begeistert das Konzept. Seit 3,5 Jahren leben zwei Bentheimer Schweine auf der Anlage, die eigens für einen Klienten angeschafft wurden, der vor seiner psychischen Erkrankung auf einem landwirtschaftlichen Betrieb für die Versorgung der Schweine zuständig war. „Die Schweine sind sehr zahm und tun dem Klienten unfassbar gut“, berichtet Bornscheuer stolz.

Ein Lama fährt Aufzug


Top Job:


Hans-Willi Bornscheuer ist nicht nur für die Pflege der Tiere zuständig, sondern bildet sie auch aus. „Ich bin ein Befürworter von Jungtieren, die haben noch nichts Schlechtes erlebt und können sich von klein auf, an den Umgang mit Menschen gewöhnen“, erzählt Bornscheuer, der selbst zwei Labradore und ein paar Ziegen daheim hat. Mit viel Geduld und Einsatz hat er es geschafft, dass ein Lama problemlos Aufzug fährt. Auch ein Pony steigt ohne Probleme ein. Da kann man schon mal ins Staunen kommen!

Die Haltungsform der Tiere ist so artgerecht wie möglich. Die Tiere leben alle mit ihren Artgenossen zusammen und haben ihre Rückzugsmöglichkeiten. „Der Tierschutz steht für mich an erster Stelle. Ich habe beim zuständigen Veterinäramt für die bei uns eingesetzten Tiere einen Sachkundenachweis nach § 11 TSchG abgelegt. Jedes Tier wird maximal 2-mal am Tag für 60-90 Minuten eingesetzt. Die übrige Zeit verbringen sie munter im Herdenverband. Des Weiteren haben wir mit Tierarzt Dr. Wagner von der Uni Gießen einen Kooperationsvertrag abschließen können, welcher vier Bestandsbesuche pro Jahr beinhaltet “, erläutert Bornscheuer das therapeutische Konzept.

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Mehr Anerkennung wäre schön

Für Hans-Willi Bornscheuer ist das Schönste an seinem Beruf, dass er Menschen und Tiere glücklich machen kann. „Es ist einfach ein geiler Job. Viele Menschen reden von Inklusion und Integration, wir leben sie. Wir gehören hier zum Ortsbild dazu, denn bei den morgendlichen therapeutischen Rundgängen kommen wir stets mit Anwohnern ins Gespräch“, erzählt der passionierte Tierfreund. Trotz seines erfüllenden Berufs wünscht sich Bornscheuer mehr Anerkennung für die tägliche Leistung in der Pflege. „Meine Erfahrungen bestätigen den Erfolg der tiergestützten Therapie. Leider gibt es zu wenig Studien darüber, sodass die Kassen die Kosten nicht übernehmen. Das ist schade, denn vielen psychisch kranke Menschen würde der Umgang mit Tieren unglaublich helfen“, gibt Bornscheuer zu bedenken, der neben seinem Vollzeitjob noch ehrenamtlich therapeutisches Reiten für Kinder anbietet. Tiergestützte Therapie sollte kein Luxus sein, sondern frei zugänglich, für alle Patienten, die das Angebot gerne nutzen möchten.

Tipps vom Kamelidenexperten

Dr. Henrik Wagner behandelt die Therapietiere in Vitos Haina und erklärt, was es bei der tierärztlichen Betreuung zu beachten gibt.

„Bei der tierärztlichen Betreuung von Therapietieren steht man als Ansprechpartner rund um Haltung, Fütterung, Reproduktion und Prophylaxe bereit. Da es sich um standorttreue Tiere handelt, sind regelmäßige Entwurmungen und Impfungen wesentlich. Wichtige Impfungen sind Tetanus, Coxiellen, Clostridien, Pasteurellen und Mannheimia. Bei den Neuweltkameliden gibt es keine zugelassenen Präparate. Dementsprechend muss man umwidmen, was rechtlich kein Problem ist. Es ist zu empfehlen, regelmäßige Kontrolluntersuchungen in Form von Kot- und Blutproben durchzuführen. Zoonosen sind besonders im Blick zu behalten, da die Tiere einen engen Kontakt zu den Menschen haben. In der Regel hat man es bei Therapietieren mit unterschiedlichen Spezies zu tun, was ich als sehr spannend und abwechslungsreich empfinde. Man muss sich jedoch fragen, ob man in der Lage ist, die verschiedenen Tiere am Hof zu betreuen. Falls nicht, sollte man sich immer Hilfe von fachkundigen KollegInnen holen.

Ein großer Faktor beim Therapieerfolg ist die Kommunikation. Man muss immer viel reden und viel erklären, sodass die Anweisungen richtig befolgt und umgesetzt werden.

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Man sollte gut mit Menschen umgehen können, die plötzlich unerwartete Dinge tun und darf sich davon nicht verunsichern lassen. Als Tierarzt lernt man viel über die Menschen und ihre jeweiligen Schicksale. Im Kontakt mit Drogensüchtigen ist es essenziell, das Auto abzuschließen und genau im Blick zu haben, welche Medikamente man mitgenommen hat und mit wie vielen man wieder vom Hof fährt.

Ich kann allen Kollegen wärmstens empfehlen, einen Betreuungsvertrag abzuschließen. So ist genau definiert, wie oft man kommt, wie hoch die Kosten sind, was an Behandlungen inkludiert ist und ob man den Notdienst abdecken kann. So herrschen eine klare Aufgabenregelung und Vergütung. Generell ist es auch wichtig, eng mit dem jeweiligen Veterinäramt zusammenzuarbeiten.

Zusammenfasst ist es eine schöne und angeregte Tätigkeit. Das Einzeltier hat einen hohen Wert und man fachlich viel machen. Mein Appell an die Kollegen , probiert es mal aus und öffnet euch für neue Tätigkeiten, es lohnt sich!“ Daniela Diepold

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