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Medical training 2. Januar 2019

Training gegen die Angst

Gezieltes Tierarzttraining bereitet Hunde auf Untersuchungen und kleinere Eingriffe vor und vermindert Stress für alle Beteiligten.

Inhaltsverzeichnis

Von Dirk Emmrich und Dr. med. vet. Bettina Brakmann

Für die meisten Hunde und auch für viele ihrer Besitzer zählt der Besuch in einer Tierarztpraxis nicht zu den schönsten gemeinsamen Erlebnissen. In der Regel verbinden unsere vierbeinigen Hausgenossen einen solchen Besuch mit eher negativ besetzten Empfindungen wie Stress, zuweilen sogar mit panikartiger Furcht. Frühere schlechte Erfahrungen mit Tiermedizinern, wie schmerzhafte Behandlungen, festgehalten werden oder der Kontakt zu kranken Tieren im Wartebereich der Praxis, sind mögliche Gründe.

Doch auch unabhängig von solcherlei problematischen Erfahrungen kann der Besuch in einer Tierarztpraxis Stress für Hunde bedeuten. So ist eine scheinbar zunehmende Zahl der Hunde unzureichend sozialisiert, was nicht selten generell den Kontakt zu fremden Menschen bedeutsam erschwert. Sowohl konkrete unangenehme Erlebnisse (Furcht), wie auch fehlende Erfahrungen und damit die Unfähigkeit ihre Sozialpartner einschätzen zu können (Angst), bestimmen die Probleme von Familienhunden in der Tierarztpraxis.

Was sich hinter Medical Training verbirgt

Ursprünglich wurde das sogenannte Medical Training (Tierarzttraining) für Zootiere entwickelt. Die Tiere werden dabei so trainiert, dass sie bei bestimmten pflegerischen oder tiermedizinischen Maßnahmen mit dem Trainer zusammenarbeiten. Mit Hilfe dieser trainierten Kooperation kann häufiger auf eine Narkose verzichtet werden. Zudem ist es durch gezieltes Training möglich, die Tiere kognitiv besser auszulasten, was eine Säule des in der Zootierpflege wichtigen „behavioural enrichment“ darstellt.

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Was das Tierarzttraining bewirken kann

Prophylaktisch eingesetzt kann gezieltes Tierarzttraining dazu führen, dass der Hund auf bestimmte Abläufe, Untersuchungen und auch kleinere Eingriffe vorbereitet ist. Für eine ideale Vorbereitung ist es erforderlich, genügend Zeit einzuplanen. Bereits längere Zeit vor einem geplanten Besuch in der Tierarztpraxis sollte mit dem angeleiteten Training begonnen werden. Dabei lernen Hunde das Stehen auf dem Behandlungstisch, das Hinaufheben sowie Einengungen und Berührungen, wie sie in einer Tierarztpraxis üblicherweise stattfinden, kennen und empfinden diese als neutral, bestenfalls sogar als angenehm. Auch bestimmte für Untersuchungen oder Behandlungen notwendige Körperpositionen können so trainiert werden. Daneben ist es wichtig, dass Hunde diejenigen tierärztlichen Instrumente kennenlernen, die regelmäßig zum Einsatz kommen und diese als angenehm oder zumindest neutral verknüpfen.


Top Job:


Ein gut vorbereitetes Tierarzttraining kann dazu beitragen, dass ein Hund den Tierarztbesuch mit sehr viel weniger negativen Empfindungen verbindet. Dies bedeutet auch für den Halter deutlich weniger Stress. Sehr vereinfacht gesagt wird es bei gut trainierten Hunden keine Situationen mehr geben, in denen drei Menschen einen sich wehrenden Hund festhalten müssen, um eine Untersuchung vornehmen zu können. Für das Praxisteam bedeutet das Tierarzttraining eine entspanntere Untersuchungs- und Behandlungsatmosphäre.

Hunde lernen, dass sie Einfluss auf das Geschehen haben. Durch Trainieren von sogenannten Kooperationssignalen können Tiere anzeigen, wann sie bereit für bestimmte Eingriffe sind. Das heißt im Idealfall auch, dass ein Hund entsprechende Signale kennt, die ihn auf Erlebnisse und Situationen vorbereiten (siehe Foto oben, Kinntarget)

Kleine Tricks gegen den Stress

Auch neben den Methoden des Tierarzttrainings können in einer Praxis mit einigen einfachen Tipps Stressfaktoren vermindert werden. Folgende Maßnahmen gehören nicht direkt zum Tierarzttraining, können aber durch das Erzeugen einer positiven Grundemotion unterstützend wirken.

Eine Terminsprechstunde verkürzt Wartezeiten: Nach Möglichkeit sollten getrennte Sprechstunden für Hunde und Katzen angeboten, zumindest aber getrennte Wartebereiche für Hunde und Katzen etabliert werden. Im telefonischen Erstkontakt ist es empfehlenswert, etwaige Probleme des Hundes – wie besondere Angstneigung – abzufragen. Je nach Bereitschaft der Besitzer, sich darauf einzulassen und vorhandenem Zeitfenster, um eine Behandlung zu beginnen, können solche Hunde besonders intensiv vorbereitet werden. Dafür sind speziell geschulte Tiermedizinische Fachangestellte notwendig.

Der Hund sollte nach Möglichkeit – und immer abhängig von der Witterung – zunächst in der vertrauten Umgebung des Autos verbleiben. Bei sehr aufgeregten Hunden kann es hilfreich sein, diese zunächst draußen mit ihrem Halter spazieren gehen zu lassen und erst kurz vor Behandlungsbeginn telefonisch wieder hereinzubitten.

Getrennte Ein- und Ausgänge helfen, direkte stressende Begegnungen zu vermeiden. Trennwände verhindern Sichtkontakt und können dazu beitragen, die Situation zu entspannen. Ein rutschfester Boden ist empfehlenswert. Für das Ablegen von Hunden im Wartebereich, aber auch im Behandlungszimmer, können rutschfeste Matten sinnvoll sein. Wenn eine solche Matte im Vorfeld vom Hundehalter durch klassische Konditionierung mit angenehmen Emotionen belegt wird, kann sie für die Hunde ein „sicherer Hafen“ sein. Auch Methoden wie Aromatherapie durch Düfte mit beruhigender Wirkung können helfen.

Als präventiv auftrainierte Sicherungsmaßnahme kann ein Maulkorb eingesetzt werden.

Prinzipiell ist es immer empfehlenswert, den Hundebesitzern beim telefonischen Erstkontakt einen Trainingsplan für das Maulkorbtraining an die Hand zu geben. Frühzeitig positiv trainiert, kann der Maulkorb als etwas Tolles empfunden werden und bei für den Hund sehr schmerzhaften oder anders sehr unangenehmen Prozeduren ein wichtiges Sicherungsutensil sein.

An welchen körperlichen Signalen ist Furcht, Angst und Stress bei Hunden in der Praxis besonders oft erkennbar?

  • Hecheln (situationsbedingt als Anzeichen von Stress)

  • erhöhter Speichelfluss und wiederholtes Belecken

  • vermehrter Durst

  • akuter Haarverlust

  • drangvolles Koten oder Urinieren

  • Zittern

  • Bewegungsunruhe bis hin zu regelrechten Fluchtversuchen

  • weite Pupillen

  • „Einfrieren“: Der Hund wird steif, er kann lediglich seine Augen und zuweilen seinen Kopf langsam bewegen, die Augen sind dabei oft aufgerissen (siehe Foto unten).

  • „Blackout“: Trainierte Signale des Halters können nicht mehr befolgt werden.

  • Aggressionsverhalten: kann auch plötzlich, beispielsweise aus der eingefrorenen Haltung heraus, auftreten.

  • geduckte Körperhaltung

  • untergezogene Rute

  • schmale, mandelförmige Augen/weggewandter Kopf

  • angelegte Ohren

  • Übersprungshandlungen wie Gähnen abseits von Müdigkeitssituationen, Kratzen, Beknabbern von Lenden, Pfoten oder Rute

Über die Autoren

Bettina Brakmann hat nach ihrem Tiermedizinstudium in Hannover in der Pathologie promoviert und war danach in einer Kleintierpraxis tätig. Seit zehn Jahren arbeitet sie als Amtstierärztin. Das Medical Training hat sie während eines Praktikums bei der Arbeit mit Delfinen kennengelernt.

Dirk Emmrich ist als Pflegewissenschaftler, Tierpsychologe (ATN) und zertifizierter Hundetrainer (TÄKNds.) zunächst über die Arbeit mit Assistenzhundhaltern in die „Hundetrainingswelt“ geraten. In seinem Beratungs- und Schulungsbetrieb „menschplushund“ berät und unterrichtet er Halter von Familien-, Therapie- und Schulhunden sowie angehende Hundetrainerinnen. Als Mitglied der Prüfungskommission der Tierärztekammer Niedersachsen ist er in der Zertifizierung von Hundetrainern und als Gutachter in der Überprüfung von Hundetrainern nach §11 TSchG tätig.

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