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Foto: Klinik fuer Kleintiere, Chirurgie der JLU Gießen

Abrasions- und Bissverletzungen bei Hund und Katze

Wenn die Uhr tickt

Die Behandlung von Abschürf- und Bisswunden gehört in der Kleintierpraxis zur täglichen Routine. Diese Verletzungen sind keineswegs immer harmlos, sondern oft lebensbedrohlich.

Von Dr. med. vet. Christine Peppler

Bereits am Telefon, spätestens aber beim Eintreffen des Patienten, muss zunächst durch gezielte Fragen möglichst schnell erfasst werden, in welche Kategorie die Verletzung einzuordnen ist. Im Anschluss erfolgt dann die Stabilisierung und erste Untersuchung mit weiterer Diagnostik wie zum Beispiel Röntgen und Ultraschall. Die Versorgung der Wunden erfolgt erst dann, wenn der Patient stabil ist.

Wie entstehen Abrasions- und ­Bisswunden?

Abrasionsverletzungen entstehen in der Regel durch Autounfälle. Die betroffenen Tiere werden mit dem Fahrzeug über eine gewisse Strecke mitgeschleift. Dadurch kommt es vor allem an den Innenseiten der unteren Extremitäten zu einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Abrieb von Haut, Muskulatur und in manchen Fällen sogar Knochen (siehe Bildergalerie). Neben dem Verlust von Gewebe kommt es zu einer starken Verschmutzung der Wunde mit Steinen oder Erde.

Bisswunden gehören zu den Punktionswunden, es kommt zu einer punktförmigen Öffnung der Haut durch die Zähne (siehe Bildergalerie). Ist eine Katze der Angreifer, sind die Wunden oft nur wenige Millimeter groß. Durch den Zahn gelangen Bakterien in die Tiefe und es entwickelt sich ggf. eine Infektion mit der Bildung eines Abszesses, da sich kleinere Wundöffnungen schnell wieder verschließen.

Ist der Angreifer ein Hund, kommen zu den punktförmigen Verletzungen der Haut noch Quetschungen der tiefer liegenden Schichten hinzu. Zusätzlich wird die Haut oft von der Unterlage abgehoben, sodass ggf. große Hohlräume entstehen. Je nach Lokalisation der Bisswunde können auch innere Organe verletzt sein oder ein größerer Blutverlust auftreten.

Erste Untersuchung und Stabilisation

Tiermedizinischen Fachangestellte haben in der Regel den ersten Kontakt zum Besitzer und können im Vorfeld bereits wichtige Fragen klären:

  • Wann ist der Unfall oder Biss passiert?

  • Ist das Tier noch geh- oder stehfähig?

  • Zeigt das Tier Anzeichen einer Atemnot?

  • Sind Blutungen erkennbar?

  • Hat der Patient noch Futter oder Wasser aufgenommen, wann das letzte Mal?

  • Hat das Tier seit dem Trauma Kot und Urin abgesetzt?

Ist der Patient eingetroffen, wird zunächst eine allgemeine Untersuchung durchgeführt und Puls, Atmung und Temperatur bestimmt. Zeigen sich Anzeichen eines Schocks, muss der Patient zunächst stabilisiert werden. Dazu wird ein venöser Zugang in die Vorder- oder Hintergliedmaße eingelegt und der Patient mit einer Infusion, am besten einer Vollelektrolytlösung wie Ringer-Lactat, versorgt. Bei Anzeichen einer Atemnot muss der Patient mit Sauerstoff versorgt werden, ggf. kann das Legen eines Tubus notwendig sein. Die nötigen Utensilien wie Laryngoskop und Tubus sollten griffbereit sein. Sofern bereits initial große Blutungen sichtbar sind, müssen diese durch Kompression oder Klemmen zunächst gestoppt werden. Bei einem großen Blutverlust ist ggf. auch eine Transfusion notwendig, um den Patient ausreichend zu stabilisieren.

Was muss im Notfall parat sein?

  • Material für Infusion (Braunüle, Infusionsbesteck und Infusionslösung)

  • Material für Intubation (Tubus, Laryngoskop, Maulspreizer)

  • Sauerstoff

  • Material zur Wundbehandlung (Schermaschine, BU-Tupfer, Wundspülung)

  • Material zur Blutstillung (Kompressen, Klemmen)

Diagnostik und erste Wundversorgung

Patienten mit Wunden sollten immer nur mit Handschuhen angefasst werden. Damit kann eine weitere Verunreinigung der Wunde vermieden werden. Die initiale Wundversorgung erfolgt mit großzügigem Freischeren, um das Ausmaß des Weichteilschadens beurteilen zu können. Gerade bei Bisswunden muss nach einer Gegenöffnung gesucht werden. Da diese manchmal klein ist, wird sie gerne übersehen. Die Wunde sollte beim Scheren mit einer Kompresse abgedeckt werden. Danach wird eine Tupferprobe aus der Tiefe entnommen und eine bakteriologische Untersuchung eingeleitet. Hierbei ist darauf zu achten, direkt die Anfertigung eines Resistenztests mit anzufordern, da dies nicht automatisch bei jedem Labor zur Untersuchung dazugehört. Je nach Schweregrad der Verletzung sollte bei diesen kontaminierten Wunden direkt mit einer systemischen Antibiose begonnen werden. Die häufigsten Keime, die in Wunden isoliert werden, sind Staphylokokken und E. coli, sodass die Gabe eines Breitbandantibiotikums indiziert ist. Sobald das Ergebnis des Resistenztests vorliegt, muss die Antibiose ggf. umgestellt werden.

Wenn bei einer Bisswunde die Haut unverletzt ist, bedeutet das nicht, dass keine Verletzungen in der Tiefe vorliegen können. Gerade im Bereich vom Brustkorb und Bauchraum kommt es häufiger zu Schäden der Muskulatur oder der inneren Organe, ohne dass eine Verletzung der Haut sichtbar ist. Daher muss neben dem Abtasten des Patienten auch eine Röntgenuntersuchung betroffener Abschnitte, des Brustkorbs und der Bauchhöhle durchgeführt werden. Zeigen Röntgenaufnahmen des Brustkorbs Gasansammlungen unter der Haut oder freies Gas im Brustkorb, liegt eine Verletzung der Lunge und/oder ein Defekt in der Brustwand vor. Dies muss operativ versorgt werden. Bei Aufnahmen des Bauchraums ist vor allem darauf zu achten, ob es Hinweise auf freie Flüssigkeiten oder Gas gibt. Je nach Befund muss dann entschieden werden, ob weitere bildgebende Diagnostik (Ultraschall, Computertomographie) notwendig ist.

Bei Abrasionsverletzungen sind Röntgenaufnahmen der betroffenen Gliedmaßen notwendig, um zusätzliche Frakturen oder Gelenkbeteiligungen zu erkennen. Eventuell müssen auch Stressaufnahmen angefertigt werden, um das Ausmaß der Verletzung und eine mögliche Instabilität von Gelenken zu bestimmen. Bei einem Verlust von mehr als 50 % der Knochensubstanz im Bereich des Karpal- oder Tarsalgelenks muss ggf. über eine Amputation der Gliedmaße nachgedacht werden.

Jegliche Manipulation einer Wunde sollte unter möglichst sterilen Bedingungen erfolgen. Dazu gehören das Abdecken mit einem sterilen Tuch und das Tragen steriler Handschuhe sowie die Verwendung von sterilem Instrumentarium. Vor der eigentlichen Wundbehandlung muss die Verletzung sondiert werden, um die Ausdehnung in die Tiefe zu erfassen. Zur Reinigung können sterile Kochsalzlösung oder Vollelektrolytlösung verwendet werden. Da es bei den Abrasionsverletzungen häufig zur Eröffnung von Gelenken kommt, muss bei der Verwendung von desinfizierenden Lösungen darauf geachtet werden, dass Knorpelgewebe nicht zusätzlich geschädigt wird. Im Anschluss erfolgt das chirurgische Wunddébridement. Hier wird alles Fremdmaterial sowie nekrotisches Gewebe aus dem Wundbereich entfernt. Gerade bei großflächigen Abrasionswunden muss dies in mehreren Schritten über mehrere Tage erfolgen. Bestehen Wundhöhlen, müssen Drainagen eingelegt werden, um eine Ansammlung von Flüssigkeit zu vermeiden. Man unterscheidet aktive Drainagen, die mit einem Vakuum arbeiten und passive Drainagen, die nach dem Schwerkraftprinzip funktionieren.

Bisswunden mit tiefen Verletzungen

Sind tiefer liegende Strukturen wie Luftröhre, Lunge oder Darm verletzt, ist eine direkte operative Versorgung notwendig (siehe Bildergalerie). In der Vorbereitung sollte hier das OP-Feld weitläufig geschoren und steril vorbereitet werden. Bei Verletzungen der Haut darf kein alkoholhaltiges Desinfektionsmittel verwendet werden. Bei einer Verletzung der Lunge ist in den meisten Fällen eine Resektion des betroffenen Lungenlappens erforderlich. Vor Verschluss des Brustkorbs muss eine Thoraxdrainage eingelegt werden, um die Luft und eventuell Flüssigkeit aus dem Brustkorb abziehen zu können. Nach Versorgung der Verletzung muss die Wundhöhle (Thorax/Abdomen) ausgiebig mit angewärmter steriler Vollelektrolytlösung gespült werden. Die Flüssigkeit wird anschließend mit einem sterilen Saugerbesteck wieder aus der Körperhöhle entfernt.

Wundabdeckung und Stabilisation bei ­Abrasionsverletzungen

Nach der ersten Wundversorgung muss die Wunde mit einer passenden Wundauflage abgedeckt werden. Darüber wird ein Schutzverband angelegt. Er besteht aus einer ausreichenden Lage Watte und einer elastischen Binde, die mit gut haftendem Klebeband fixiert wird. Liegt eine Instabilität des Gelenks vor, muss entweder ein Stützverband (der Schutzverband wird mit einer Kunststoffschiene oder Gips verstärkt) angelegt werden oder z. B. eine temporäre Arthrodese (vorübergehende Gelenkversteifung) mit einem Fixateur extern erfolgen. Auch das Einbringen von Bandersatz zum Beispiel mittels Knochenanker ist beschrieben.

Sollte sich kein ausreichendes Granulationsgewebe bilden, kann zur Förderung eine lokale, kontrollierte Unterdrucktherapie (vakuum-assistierter Wundverschluss, VAC) eingesetzt werden. Der verwendete Unterdruck von -125 mmHg führt zu einer Wundkontraktion und einer Adaptation der Haut an die Unterlage. Die Bildung von Granulationsgewebe wird gefördert. Die Wundfläche wird mit einem speziellen Schwamm abgedeckt und dieser mit einer luftundurchlässigen Folie fixiert. Die Vakuumpumpe wird an das System angeschlossen und ein Unterdruck hergestellt. Nach ca. 2–3 Tagen sollte der Schwamm gewechselt werden. Auch infizierte Wunden können mit diesem System oder mit einem Saug-Spül-System behandelt werden. Große Wundflächen an den distalen Extremitäten können nach Bildung eines gesunden Wundbetts mit einem Hauttransplantat versorgt werden, um einen schnelleren Verschluss der Wunde zu erreichen.

Über die Autorin

Christine Peppler ist Fachtierärztin für Chirurgie und arbeitet als leitende Oberärztin in der Abteilung Chirurgie an der Klinik für Kleintiere der Justus-Liebig-Universität Gießen. Kontakt: christine.peppler@vetmed.uni-giessen.de

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