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Anästhesie 14. November 2019

Worauf ist bei der Narkose von Katzen zu achten?

Worauf ist bei Narkose und Überwachung zu achten, wie können Patient und Besitzer optimal vorbereitet werden und wie ist mit Komplikationen umzugehen?

Inhaltsverzeichnis

Von Yvonne Lambach

Katzen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von Hunden, nicht nur dadurch, dass sie nicht freudig neben Herrchen und Frauchen in die Praxis traben. Anatomisch und physiologisch gibt es einige Unterschiede: So haben Katzen im Vergleich zu Hunden ein geringeres Lungenvolumen und ein geringeres Blutvolumen in Relation zum Körpergewicht. Die Körperoberfläche dagegen ist vergleichsweise relativ groß, sodass es schneller zu einem Temperaturabfall kommen kann.

Statistisch haben Katzenpatienten leider ein höheres Narkoserisiko als Hundepatienten. Das gilt besonders für erkrankte Katzen. Wie gehen wir am besten damit um? Sollten wir unsere Katzenpatienten deshalb lieber nicht narkotisieren und z. B. auf die Extraktion von schmerzhaften Zähnen verzichten? Nein! Wir müssen vielmehr besondere Vor- und Umsicht walten lassen und können uns hierzu auch einiges an Technik zunutze machen.

Risikofaktoren einschätzen

Die Einordung jedes Narkosepatienten in die so genannte ASA-Klassifikation (siehe PDF) gehört mit in jedes Narkoseprotokoll.

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Für Katzen gibt es in erster Linie folgende Risikofaktoren – das heißt, diese Patienten haben ein erhöhtes Risiko zu versterben:

  • schlechter Gesundheitszustand (ASA-Klassifikation, Begleiterkrankungen)
  • zunehmendes Alter (siehe PDF)
  • Gewichtsextreme (Unter-/Übergewicht)
  • hohe Dringlichkeit und hoher Schwierigkeitsgrad der durchgeführten Maßnahme

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Die bei der Katze im Zusammenhang mit der Narkose wichtigsten chronischen Erkrankungen sind auch gleichzeitig die häufigsten:

  • Schilddrüsenerkrankungen (bei der Katze fast immer eine Hyperthyreose/Überfunktion)
  • Hypertonie/Bluthochdruck
  • Nierenerkrankungen (chronische Niereninsuffizienz)

Aber auch Atemwegserkrankungen (z. B. felines Asthma), Lebererkrankungen, neurologische Erkrankungen, Erkrankungen des Blutes, Elektrolytabweichungen und Infektionserkrankungen spielen eine Rolle für die Narkose.

Für alle Altersklassen gilt: Stressreduktion und Temperaturkontrolle sind ganz wichtig zur Risikominimierung.

Wie bereiten wir uns am besten vor?

Möglichst viele Informationen sammeln: Die Anamnese ist bei Katzenpatienten besonders wichtig. Bereits am Telefon können folgende Risikofaktoren kurz mit abgefragt werden: Alter, Rasse, bekannte Erkrankungen, Medikamente, Veränderungen bezüglich Durst/Appetit und besondere Beobachtungen. Dies ersetzt weder das Anamnesegespräch noch die Untersuchung durch den Tierarzt beim Vortermin und am Tag der OP, aber es hilft immens bei der Planung. Außerdem werden Besitzer bereits für wichtige Aspekte sensibilisiert.

Voruntersuchung und Beratung: Zur optimalen Einschätzung des Gesundheitszustands sind diese unumgänglich. Oft sind zusätzlich zur gründlichen klinischen Untersuchung auch eine Blutdruckmessung und eine Blutuntersuchung angezeigt. Um eine Narkose optimal zu planen, sollten die Voruntersuchungen (z. B. vor Zahnsanierungen) an einem separaten Termin vorab stattfinden. Das hat für den Besitzer den Vorteil, dass Fragen in Ruhe besprochen werden können. Es erfordert meist etwas Überzeugungsarbeit, aber mit den oben genannten Argumenten gelingt es, eine große Mehrheit der Besitzer vom Sinn des Vorab-Besuchs zu überzeugen. Die Maßnahmen der katzenfreundlichen Praxis verbessern dann zusätzlich das Erlebnis für Besitzer und Katze.

Stress und Angst ernst nehmen: Stress und Angst beeinträchtigen das Herz-Kreislaufsystem, die Wirkung der Narkosemittel und das Immunsystem. Angst und Stress können auch einen massiven Anstieg des Blutdrucks verursachen. Das heißt, dass sogar ein gesunder Patient plötzlich Bluthochdruck haben kann. Unser Ziel sollte daher immer eine möglichst entspannte Katze sein. Dies erreichen wir am besten in einer ruhigen Umgebung ohne Stressoren und mit den Arbeitsmethoden des katzenfreundlichen Handlings.

Sanft einschlafen und schlummern

Auch für die Prämedikation, Narkoseeinleitung und chirurgische Vorbereitung sowie Aufrechterhaltung der Narkose sind Ruhe und routinierte Abläufe unabdingbar.

Professionelle Überwachung senkt das Risiko

Die wichtigsten Anhaltspunkte sowohl für die Narkosetiefe als auch die Unversehrtheit unserer Patienten sind die Vitalparameter: Atmung (Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung), Herz-Kreislauf (Herzfrequenz, Pulsfrequenz, Blutdruck), Temperatur und Reflexe.

Reflexe sind in erster Linie zur Beurteilung der Narkosetiefe hilfreich, für die Narkoseüberwachung sind die übrigen Messgrößen essenziell. Um eine professionelle Überwachung durchführen zu können, müssen wir sowohl unsere Instrumente gut kennen, als auch die Normalwerte verinnerlicht haben: die sogenannten Zielparameter.

Komplikationen

Vor (präoperativ), während (perioperativ) und nach (postoperativ) einer Operation können Komplikatio­nen auftreten. Wie ist damit umzugehen?

Präoperative Komplikationen

Stress und Angst: führen in der Regel immer zu einer verlängerten Einleitungszeit und damit zu einer verlängerten Narkosezeit.

Erbrechen: Wir müssen vor und während der Narkose Erbrechen sowie während und nach der Narkose den sog. oesophagealen Reflux (Magensaft gelangt in die Speiseröhre und führt zu einer Verätzung der Schleimhaut) vermeiden.

Daten zu optimalen Fastenzeiten für Katzen fehlen noch. Die Länge der Fastenzeiten ist stark von der Operation oder Behandlung und vom Gesundheitszustand des Patienten abhängig. So sollten für bestimmte Blutuntersuchungen und auch für Operationen am Magen-Darm-Trakt zwölf Stunden und mehr strikt eingehalten werden. Bei anderen Maßnahmen können ggf. auch kürzere Intervalle (3–4 Stunden nach einer leichten feuchten Mahlzeit) ausreichen. Hier sollte eine ganz individuelle Beurteilung erfolgen. Bei jungen oder diabetischen Tieren sollte das Fastenmanagement unbedingt im Team besprochen werden.

Perioperative Komplikationen

1. Sauerstoffsättigung  90 %, Sauerstoff­mangel im Blut (Hypoxie)

  • Puls überprüfen, alternativ Herzschlag oder Dopplersignal
  • falls nicht vorhanden: Herz-Lungen-Wiederbelebung
  • manuell beatmen, um den Luftfluss zu prüfen (Verlegung der Atemwege, Schleimbildung, Knacken/Knistern, ...?) – falls auffällig, Ursache beheben
  • Sauerstoffzufuhr zum Patienten überprüfen (Leckprüfung)
  • Sitz des Sensors überprüfen

2. Temperaturabfall (Hypothermie)

  • Raumtemperatur erhöhen, aktive und direkte Wärmezufuhr von Beginn an sicherstellen, zusätzlich passive Maßnahmen (Decke, Socken)
  • Patient trocken halten, trocknen
  • Zufuhr von angewärmter Infusionslösung
  • Unterkühlung führt in der Aufwachphase unter Umständen zu Hyperthermie, daher nach Normalisierung die Temperatur weiter kontrollieren!

3. Herzfrequenz fällt zu weit ab:  100 Schläge/Minute (Bradykardie)

  • Medikamente (Narkose/Prämedikation) überprüfen, kann es eine Nebenwirkung sein?
  • Blutdruck überprüfen – wenn dieser zu niedrig ggf. Infusion/Medikation (in Rücksprache)
  • EKG – wenn abweichend ggf. Medikation notwendig (in Rücksprache)
  • Narkosetiefe überprüfen – ggf. reduzieren
  • Temperatur überprüfen – wärmen

4. Blutdruck fällt ab (Hypotension)

  • Narkosetiefe überprüfen, wenn möglich Narkosemittel reduzieren (bei Inhalation Gas reduzieren, bei Injektion ggf. teilweise antagonisieren)
  • Mit dem Chirurg abstimmen, ob eine Infusion oder Medikamente zur Kreislaufstabilisierung notwendig sind.

5. Herzfrequenz steigt zu hoch: HF > 180 Schläge/Minute (Tachykardie)

  • Narkosetiefe überprüfen
  • Sitz des Tubus oder des Venenzugangs überprüfen
  • Hypoxämie?
  • Hypotension?
  • Hypovolämie/Schock?
  • Hyperthermie?

6. Anstieg der Körpertemperatur (Hyperthermie)

  • Entfernung aller Wärmequellen
  • aktiv kühlen mit feuchten Handtüchern, ­Ventilator, etc.
  • ggf. erneute Sedation

Postoperative Komplikationen

1. Verlängerte Aufwachphase/verzögertes Aufwachen

  • Sind 15–30 Minuten nach der Ausleitung vergangen?
  • Temperatur normal oder ggf. erniedrigt? (s. o.)
  • Wurden alle verabreichten Medikamente
    antagonisiert? (s. Narkoseprotokoll)
  • Atmung

2. Übermäßige Erregung (Dysphorie)

  • Ist die Katze ansprechbar und händelbar?
  • Hat die Katze Schmerzen? Siehe dazu die „Glasgow Pain Scale (feline)“ Schmerzskala für Katzen.
  • Besteht eine Hypoxie? (Wie ist die Sauerstoffsättigung?)
  • Welche Medikamente wurden eingesetzt, welche Nebenwirkungen sind zu erwarten?

Sanft wieder aufwachen

Unsere Katzenpatienten sollten in der Aufwachphase und zur weiteren Überwachung in einer ruhigen, abgedunkelten Umgebung und mit Rückzugsmöglichkeit untergebracht werden. Dort müssen sie weiterhin überwacht werden, mindestens bis zur Normalisierung aller Messwerte, im optimalen Fall mindestens drei bis vier Stunden.

Ganz wichtig ist hierbei auch ein regelmäßiges Schmerz-Scoring. Dieses sollte alle 30 Minuten erfolgen und dann ggf. auch eine Anpassung der Schmerzindikation.

Katzenfreundlich denken

Die Maßnahmen der katzenfreundlichen Praxis verbessern die Compliance von Katze und Besitzer. Dies zeigt sich vor allem darin, dass Katze und Besitzer weniger gestresst sind, da sich die Vierbeiner weniger bedroht und die Zweibeiner ernst genommen fühlen. Besitzerbefragungen haben gezeigt, dass diese positiv wahrnehmen, wenn sich ihre Katzen in der Praxis wohler fühlen und entspannter sind. Dadurch ist der Besitzer tatsächlich bereit, die Katze öfter und regelmäßiger für Kontrolluntersuchungen vorzustellen.

Wie sieht das praktisch aus?

Der gesamte Tierarztbesuch sollte so kurz und stressfrei wie möglich ablaufen. Dies beginnt bereits im Zuhause. Der Besitzer erhält vorab (telefonisch oder bei einem Vortermin) wertvolle Tipps zum stressarmen Transport, angefangen vom Einsteigen in die Box, ggf. auch Boxentraining, bis zur Ankunft in der Praxis.

Termine werden so geplant, dass im Idealfall keine Wartezeiten für die Patienten entstehen und es in der Praxis ruhig ist. Die Katze wird in der Praxis direkt in eine ruhige Umgebung gebracht. Unterstützend helfen dabei spezielle Pheromone (Katzengesichts-Pheromon F3-Fraktion), erhöhte Abstellplätze, Abdunkelung durch Abdecken der Transportbox oder gedimmtes Licht. Darüber hinaus sollte zu jeder Zeit ruhig, geduldig und ohne Gewalt gearbeitet werden. Der Besitzer bringt zusätzlich Kuscheldecken mit, die den Geruch des Vertrauten mit in die ungewohnte Umgebung bringen. Eigenes Futter kann die Akzeptanz von Futter nach der Narkose verbessern und dabei helfen, den Magen-Darm-Trakt zu aktivieren.

Zielparameter für die Narkose – Was ist normal?

  • Atmung: 8–20 Züge/Minute

Adspektorisch – also die sichtbaren Atemzüge – zählen und stets zusammen mit der Sauerstoffsättigung beurteilen (dabei nicht die Hand auf den Brustkorb legen, das erschwert die Atmung!).

  • Sauerstoffsättigung: 100 %

Bei spontaner Atmung sollten maximal Schwankungen im Bereich zwischen 90–100 % toleriert werden. Am besten eignet sich die Überwachung mit einem Puls­oxymeter oder einem Kapnographen (auf minimalen Totraum achten!).

  • Pulsfrequenz und -qualität: kräftig, regelmäßig

Diese muss mit den Fingern oder über das Dopplersignal überprüft werden.

  • Blutdruck (systolisch) > 90 mmHG und  160 mmHG

Am besten eignet sich ein Doppler-Messgerät, da es sehr genau misst und hierbei auch die Pulsfrequenz und -qualität beurteilt werden kann.

  • Temperatur (Normalbereich): 38–39 °C; bei Jungtieren bis 39,5 °C

Die Messung erfolgt mit einem rektalen Thermometer oder einer Temperatursonde.

Hier finden Sie ein Beispiel für ein Narkoseprotokoll.

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Wertvolle Tipps und Infos zum Umgang mit der ängstlichen Katze und der Vorbereitung auf den Tierarztbesuch finden Sie im Beitrag „Vorsorge ist die beste Vorbereitung“ auf tfa-wissen.de sowie im Buch „Cattitude“ von Angelika Drensler.

Cattitude
Kann die Katze Tierarzt lernen?

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