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Verdauungsstörungen beim Kaninchen 26. April 2018

Bauchschmerzen schnell erkennen und richtig handeln

Kaninchen, die wegen reduzierter Futteraufnahme und Apathie vorgestellt werden, leiden oft an Verdauungsstörungen. Schnelles Handeln ist wichtig, damit das Liegenbleiben des Futterbreis nicht tödlich endet.

Inhaltsverzeichnis

Von Dr. med. vet Jutta Hein

Wenn bei Pflanzenfressern (Kaninchen, Meerscheinchen, Chinchilla und Degu) der Futterbrei nicht aus dem Magen und Dünndarm weitergeschoben wird, kommt es zur Fehlgärung (Dysbiose) und es bilden sich Gase und Giftstoffe. Diese wiederum beeinflussen den Stoffwechsel, was nicht selten zum Tod führt (Teufelskreis der Magen-Darm-Störungen). Wichtig für eine schnelle Genesung ist einerseits das Stabilisieren des Tieres, andererseits das Finden und Beseitigen der Ursache. Um möglichst schnell und ohne großen diagnostischen Aufwand Probleme und Grundursachen identifizieren zu können, ist gezieltes Vorgehen (Anamnese, klinische Untersuchung, weiterführender diagnostischer und therapeutischer Plan) wichtig.

Entscheidend für die Art des Vorgehens ist der klinische Zustand des Patienten. Ist das Tier blass, matt, in Untertemperatur oder befindet es sich sogar in Seitenlage, erfolgt parallel zur Aufnahme, zu einem kurzen Vorbericht und einer klinischen Untersuchung bereits die Stabilisierung. Weiterführende Untersuchungen und spezielle Therapien folgen erst, wenn das Tier stabilisiert ist.

Vorbericht

Die Frage nach möglichen Ursachen kann unter Umständen zahlreiche Untersuchungen ersparen. Wichtig für die Prognose ist, ob noch Futter aufgenommen wird sowie die Erkrankungsdauer. Je länger eine Störung im Gastrointestinaltrakt besteht, umso wahrscheinlicher ist eine Fehlgärung und umso schlechter die Prognose.

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Fütterung und Haltung kommt ein besonderer Stellenwert im Vorbericht zu. Änderungen in der Futterzusammensetzung, Verabreichung von ungewohntem Frischfutter, Aufnahme großer Mengen an Frischfutter oder Pellets, oder Aufnahme von Fremdkörpern erklären häufig schon ohne Untersuchung den Grund für Aufgasung (Tympanie) und Atemnot (Dyspnoe). Änderungen in der Haltung und Umgebung (z. B. Umzug), besondere Ereignisse (z. B. ungewohnter Kontakt zu anderen Tieren oder Menschen, Tod des Partnertieres, Sturz, Kabelbiss) und auch Medikamentengabe sind ausreichende Gründe für eine verminderte Magen-Darm-Motilität. Weitere Auffälligkeiten wie Verletzungen, veränderte Körperhaltung und abweichendes Verhalten („liegt mehr“, „kann nicht mehr hoppeln“ etc.), Gewichtsverlust, Umfangsvermehrungen („hat seit gestern einen dicken Bauch“) sollten abgefragt werden, um Hinweise auf zusätzliche Probleme oder Ursachen zu erhalten.

Erste klinische Untersuchung


Top Job:


Da TFAs die Tiere häufig schon vor dem Tierarzt sehen, sollten sie hierbei immer auf den Allgemeinzustand des Patienten achten. Vor dem Herausnehmen aus der Box und dem Handeln sollte also geschaut werden, ob und wie der Patient in der Box sitzt oder liegt, ob er aufmerksam ist und Zeichen von Atemnot und/oder Umfangsvermehrungen zeigt.

Nach dem Herausnehmen aus der Box sollte als erstes das exakte Körpergewicht (für die Dosierung von Medikamenten) und die Körpertemperatur (Hinweise auf Schock oder Fieber) notiert werden.

Gemessen werden sollte die Körpertemperatur immer rektal und idealerweise in Rückenlage (Ausnahme Atemnot!), damit die Anogenitalregion, der Bauch und die Pfoten gleich mit begutachtet werden können. Die Körpertemperatur ist abhängig von der Tierart und der Haltung.

Körperinnentemperatur von Kleinsäugern

  • Kaninchen: 38,5–40,0 °C

  • Meerschweinchen: 38,0–39,0 °C

  • Chinchilla: 37,5–38,5 °C

  • Frettchen: 37,5–39,0 °C

Tiere in Außenhaltung können eine niedrigere Körpertemperatur haben als Tiere, die immer im Haus gehalten werden. Deshalb ist es wichtig – zumindest bei den „großen“ Kleinsäugern – bei jeder Untersuchung die Körpertemperatur zu messen. So weiß man, ob dieses Tier eher immer hoch oder niedrig in der Temperatur ist. Kommt zum Beispiel ein Kaninchen, dass immer eine Körpertemperatur von über 39,0 °C hat, mit 38,2 °C in die Praxis, ist dies bereits ein Zeichen von Schock, während dies bei einem Kaninchen in Außenhaltung mit eher niedrigerer Körpertemperatur noch ganz normal sein kann.

Auch wenn die weitere klinische Untersuchung üblicherweise vom Tierarzt durchgeführt wird, sollte eine TFA ebenfalls in der Lage sein, starke Abweichungen von der Norm zu erkennen, damit sie z. B. bei einem Tier auf Station bei Veränderungen rechtzeitig einen Tierarzt hinzuziehen kann. Zur Untersuchung gehören die Begutachtung der Schleimhäute, der Lymphknoten und der Haut, das Abhören von Lunge und Herz und das Durchtasten des Bauchraums.

Was tun im Notfall?

Untertemperatur

Ein ausgekühltes Tier sollte als allererstes auf eine wärmende Unterlage gebracht werden und ggf. mit Tüchern und wärmenden Kissen (auch Handschuhe, Pads, warme Luft, warme Infusionen unter die Haut etc.) umgeben werden. Oft bessert sich die Kreislaufsituation und somit auch das Wohlbefinden schon allein durch diese Maßnahme deutlich. Zu beachten ist dabei, dass die Temperatur, die am Körper anliegt, mindestens so hoch wie die Wunschtemperatur sein muss, damit das Tier auch wärmer wird, aber nicht höher als 42 °C, da es sonst zu Verbrennungen kommen kann.

Atemnot

Atemnot stellt bei kleinen Heimtieren immer einen akuten, lebensbedrohlichen Notfall dar. Kaninchen und Nagetiere sind reine Nasenatmer. Maulatmung ist bei ihnen immer ein Signal für eine schwere respiratorische Störung und/oder eine weitgehend vollständige Obstruktion der Nasenwege. Weitere Hinweise auf Sauerstoffunterversorgung sind auch zyanotische (bläuliche) Schleimhäute und eine Körperhaltung mit abgeplatteten Schulterblättern und gestrecktem Hals. Stressvermeidung und möglichst wenig Manipulation sind wichtig, damit die kreislaufinstabilen Kleinsäuger nicht kollabieren. Erste Maßnahme bei Atemnot ist also immer die Gabe von Sauerstoff, im einfachsten Fall über einen Schlauch, der vor die Nase gehalten wird oder in einer Sauerstoffbox (spezielle Box; alternativ: Transportbox bis auf einen schmalen Streifen mit Frischhaltefolie umwickeln und Sauerstoff einleiten). Sind die Atemwege stark mit Sekret verschmutzt, sollten sie möglichst gereinigt und die Nase ggf. mit physiologischer Kochsalzlösung gespült werden (immer zunächst nur das freiere Nasenloch; das zweite folgt erst, wenn sich der Patient beruhigt und stabilisiert hat). Geröntgt (außer d/v) und weiter untersucht wird erst, wenn sich die Atmung normalisiert hat.

Auf einen Blick: Notfallsignale und Erstmaßnahmen

  • Seitenlage, Auflegen des Kopfes -> sofortige Überprüfung von Temperatur, Herz- und Atemfrequenz

  • unphysiologische Körperhaltung -> vorsichtige Manipulation

  • Atemnot, bläuliche Schleimhäute -> Sauerstoff, wenig Manipulation

  • Untertemperatur -> Wärme

  • blasse Schleimhäute -> weitere Maßnahmen absprechen

  • praller Magen/Bauch -> Verdacht auf Magendilatation, Ileus etc.; weitere Maßnahmen absprechen

  • leerer Magen-Darm-Trakt -> füttern

Wichtig: Informieren Sie immer sofort den Tierarzt, sobald Sie eines der Signale erkennen!

Wie erkennt man eine gastrointestinale Stase?

Abtasten

Ist der Bauchraum bei Pflanzenfressern kranial verbreitert, besteht Verdacht auf eine Magendilatation oder -tympanie, während eine Verbreiterung im mittleren Bereich auf eine Aufgasung des Blinddarms (Caecum) oder einen anderen raumfordernden Prozess hinweist. Bei Pflanzenfressern mit normal gefülltem Magen-Darm-Trakt können die Finger im gesamten Bauchraum vorsichtig zusammen gebracht werden. Der Magen von normalgewichtigen Kaninchen ragt normalerweise leicht über den Rippenbogen hinaus und hat einen eindrückbaren, knetbaren Inhalt. Ein zu wenig gefüllter oder leerer Magen überragt den Rippenbogen nicht oder nur geringfügig. Ein überladener oder tympanischer Magen dagegen geht meist weit über den Rippenbogen hinaus, reicht breit bis auf die Bauchwand und ist meist kaum noch eindrückbar. Er fühlt sich bei Palpation:

  • teigig-fest (akute Obstipation),

  • wie ein mit flüssigerem Inhalt gefüllter Ballon (länger bestehende Obstipation),

  • oder wie ein luftgefüllter Ballon (primäre oder sekundäre Tympanie) an.

Dünndarmschlingen sind normalerweise nicht tastbar. Fühlt man aber schlauchförmige Gebilde hinter dem Magen, kann dies ein Zeichen für Verschluss sein. Bei dicken Kaninchen ist der gesamte Magen-Darm-Trakt durch Fett nach vorne geschoben. Bei diesen Tieren wird das Fett oft mit einer Umfangsvermehrung im hinteren Bauchteil verwechselt und der Magen irrtümlich als sehr klein angesehen, obwohl er seine maximale Größe bereits erreicht hat. Wichtig ist dies vor allem bei der Bemessung der Futtermengen.

Röntgen

Besteht Verdacht auf eine Störung im Bauchraum, ist eine Röntgenuntersuchung in zwei Ebenen (laterolateral [meist rechts anliegend] und ventrodorsal) immer hilfreich. Bei schlechtem Kreislaufzustand wird zunächst nur eine dorsoventrale Aufnahme (sitzend) gemacht. Eingeblendet wird so, dass das Zwerchfell und das Hinterteil komplett abgebildet sind. Der Gastrointesti­naltrakt füllt bei schlanken Kaninchen fast den gesamten Bauchraum aus, bei dicken Kaninchen, bei denen der Verdauungstrakt durch das Fett nach vorn geschoben wird, oft wesentlich weniger. Der Magen nimmt wiederum ein Drittel dieses Raums ein, der Blinddarm fast zwei Drittel und der Dünndarm den Rest.

Je voller der Magen ist, umso runder stellt er sich dar. Bei gesunden Kaninchen ist der Darminhalt mit kleinen Gasbläschen durchsetzt und wirkt so inhomogen. Eine Homogenisierung des Inhalts ist Hinweis auf eine Hypomotilität, größere Gasmengen, insbesondere im Dünndarm, weisen auf einen Verschluss (Ileus) hin. Um die Durchgängigkeit zu überprüfen, kann nach Stabilisierung und Antherapie eine Kontrastmittelpassage (10–20 ml/kg Kontrastmittel) durchgeführt werden. Je nachdem, ob der Magen wenig oder stark gefüllt ist, erfolgt die Gabe des Kontrastmittels entweder zunächst in kleinen Portionen (ca. 3–5 ml/kg KM alle 10–15 Minuten), um das Magenvolumen nicht zu überschreiten und eine Magenruptur oder einen Kollaps zu riskieren, oder auf einmal mittels Spritze oder Sonde. Bei komplett mit Kontrastmittel gefülltem Magen sollte das erste Kontrastmittel nach 30–60 Minuten den Magen verlassen haben und innerhalb von drei Stunden den Blinddarm erreicht haben.

Urinuntersuchung

Die Urinuntersuchung zeigt nicht, ob eine Magen-Darm-Störung vorliegt, ist aber die schnellste und einfachste Art „einen Blick in den Körper“ zu werfen und so u. a. Informationen über Nierenfunktion und Säure-Base-Status und somit auch über die Stabilität des Patienten und die Prognose zu erhalten. Das Urin-spezifische Gewicht (USG) zeigt, ob ein Patient ausgetrocknet ist und die Nieren arbeiten. Der Urin-pH-Wert (Stick) erlaubt Aussagen über den Säure-Basen-Mechanismus. Kleine Pflanzenfresser haben einen Urin-pH-Wert von 8–9. Ein niedrigerer pH-Wert spricht für eine Übersäuerung. Sind dabei schon Ketonkörper oder massiv Glukose im Urin nachweisbar, spricht dies für eine diabetische Ketoazidose und erfordert sofortige Infusionstherapie. Nach neuesten Studien steigt die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Darmverschlusses auch, je höher die Glukosekonzentration ist (Harcourt-Brown und Harcourt-Brown 2012; Böttcher und Müller InnLab 2016).

Kotuntersuchung

Die Kotuntersuchung liefert nur wenige Informationen in Bezug auf eine mögliche Stase. Im Gegensatz zur weitläufigen Besitzermeinung, dass ein Kleinsäuger einen Darmverschluss haben muss, weil der Kot klein ist oder kein Kot mehr kommt, ist dies viel häufiger ein Zeichen für mangelnde Futteraufnahme. Massenhaft Haare und/oder andere Fasern (Teppich etc.) im Kot können allerdings hinweisend auf die Ursache einer Verdauungsstörung sein.

Blutuntersuchung

Eine Blutentnahme und -untersuchung ist immer dann sinnvoll, wenn der Gesamtzustand des Patienten beurteilt, weitere Probleme ausgeschlossen und die OP-Tauglichkeit des Patienten beurteilt werden soll. Je nach Dringlichkeit reichen oft schon wenige Tropfen Blut, um wichtige Informationen zu erhalten (Hämatokrit, Blutausstrich, Glukosemessung, Reflotronmessungen der Nierenparameter). Aktuelle Daten bestätigen die hohe Aussagekraft von präoperativen Glukose- (Harcourt-Brown und Harcourt-Brown 2012), Elektrolyt- und Nierenparametermessungen bei Kleinsäugern in Bezug auf Stabilität und Prognose. Häufige labordiagnostische Befunde bei Kaninchen mit Magendilatation sind Azotämie, Hyperglykämie, Hyponatriämie und Dehydratation (Böttcher und Müller InnLab 2016).

Die wichtige Rolle der TFA

Je systematischer man an die Aufarbeitung eines Kleinsäugerpatienten geht, umso besser sind die Chancen, schnell und sicher zur richtigen Diagnose und Therapie zu kommen. TFAs sind dabei ein wichtiges Bindeglied zwischen Tier und Tierarzt, da sie die Patienten häufig noch vor dem Tierarzt sehen und sie so bei Auffälligkeiten und Veränderungen sofort reagieren können. Denn die beste Diagnose ist nichts wert, wenn der Patient zwischenzeitlich verstirbt.

Über die Autorin

Dr. med. vet. Jutta Hein ist Diplomate des European College of Zoological Medicine (Small Mammal), sie leitet die Kleinsäugersprechstunde der Tierärztlichen Fachpraxis am Klinkerberg (Augsburg) und ist Fachberaterin Small Mammal für SYNLAB.vet Deutschland.

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