zum Hauptinhalt
Qualzucht 12. April 2023

Stylisch angezogen - aber ganz ohne Wohlfühlfaktor!

Bei Qualzucht wird sofort an Hüftgelenksdysplasie oder das Brachycephalensyndrom gedacht, doch Haut und Fell sind ebenfalls betroffen.

Bei solchen süßen Hundewelpen einer beliebten Rasse mit auffälliger Färbung stehen die Käufer Schlange und zahlen gerne höhere Preise. Einer dieser beiden Hunde ist prädisponiert für Hautprobleme, doch weiß das der Käufer?
Bei solchen süßen Hundewelpen einer beliebten Rasse mit auffälliger Färbung stehen die Käufer Schlange und zahlen gerne höhere Preise. Einer dieser beiden Hunde ist prädisponiert für Hautprobleme, doch weiß das der Käufer?
Inhaltsverzeichnis

Von Andrea Nelke

Im Alltag in einer Tierarztpraxis begegnen wir einer Vielfalt von Hunden und Katzen, deren Haut oder Fell durch züchterisches Wirken ein unverkennbares, rassetypisches Aussehen verliehen wurde. Die Freude an der optischen Besonderheit lässt jedoch problematische Aspekte in den Hintergrund treten, die mit einer teils extremen Modifizierung der Haut und ihren Anhangsgebilden einhergehen und tierschutzrelevant sein können.

Als größtes Organ erfüllt die Haut mitsamt Haaren zahlreiche Aufgaben, die für die Aufrechterhaltung des Gesamtorganismus unerlässlich sind. Zunächst stellt sie eine wirksame Barriere gegenüber schädigenden physikalischen und mechanischen Umwelteinflüssen dar. Zugleich ermöglicht die Haut als Sinnesorgan mit ihren spezifischen Rezeptoren einen Austausch mit der Umgebung über die Aufnahme von Reizen wie Schmerz, Wärme, Kälte, Druck und Berührung. Außerdem ist sie erheblich an der Thermoregulation beteiligt. Eine weitere wichtige Bedeutung kommt ihr in der sozialen Interaktion zwischen Individuen zu, so beispielsweise beim Aufstellen der Haare zwecks Vergrößerung des Körperprofils in Konfliktsituationen.

Hundeausstellung: In Zukunft für alle Hunde mit Defektmerkmalen verboten.
Das Ausstellungsverbot für Qualzuchten
Seit Beginn dieses Jahres dürfen Hunde mit Qualzuchtmerkmalen in Deutschland nicht mehr ausgestellt werden oder an Prüfungen teilnehmen.

Fell- und Hautprobleme genetisch vorprogrammiert

Anzeige

Durch züchterisch veranlasste, extreme Veränderung kann einerseits die Haut an sich in ihrer Funktionalität gestört oder eingeschränkt sein und mitunter sekundär geschädigt werden. Andererseits können zeitgleich mit dem Auftreten von Hautmissbildungen auch andere Teile des Körpers negativ betroffen sein, da eine genetische Kopplung zwischen den Merkmalsausprägungen mehrerer Organe vorliegt.

Die Kehrseite der züchterischen Ziele in Bezug auf Haut und Haare kann im Folgenden an einigen Hunde- und Katzenrassen verdeutlicht werden.


Top Job:


Rhodesian Ridgeback

Das für Rhodesian Ridgebacks markanteste Merkmal ist der Haarkamm („Ridge“) entlang der Rückenlinie zwischen Schultern und Hüfthöckern, auf der die Haare entgegen der Wuchsrichtung wachsen. Bei dieser Hunderasse treten sogenannte Dermoidsinus (DS) signifikant häufiger auf als bei anderen.

Bei DS handelt es sich um strangförmige Hauteinbuchtungen, deren Hohlraum mit Talg, Zelltrümmern und Haaren gefüllt sein kann. Sie entstehen während der Embryonalentwicklung und können klinische Symptome verursachen. Je nach Eindringtiefe in umliegendes Gewebe bzw. Verbindung zu bestimmten anatomischen Strukturen werden sie in sechs Typen eingeteilt. Entweder ist der DS als breiter Strang ausgebildet und endet am Dornfortsatzband oder blind im subkutanen Gewebe. Typ IV, der bis zum Rückenmarkskanal zieht, kann bei entzündlichen Prozessen mit einer aufsteigenden Infektion im zentralen Nervensystem einhergehen und in schwerwiegenden Fällen zu neurologischen Ausfällen führen. Die Diagnose erfolgt mithilfe bildgebender Verfahren (MRT, CT, Myelografie). Selbst ohne Vorliegen klinischer Beschwerden ist eine vollständige operative Entfernung angezeigt.

DS zählen zu den erblich bedingten, angeborenen Missbildungen der Haut. Eine genetische Kopplung zwischen „Ridge-Gen“ und dem Auftreten von DS galt bislang als gesichert, eine neue Studie deutet jedoch darauf hin, dass die Vererbung und somit auch das Vorkommen von DS komplexer sind und unabhängig von der Kammbildung geschehen. Aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit der Weitervererbung sind Tiere mit DS von der Zucht auszuschließen.

Verlieben auf schottisch.
Happy End im Herrenhaus
In Jasmin Fröhlichs Romandebüt verlieben sich die Kölner Hundetrainerin Ella und der schottische Rinderzüchter Angus. Wir verlosen 3 Exemplare von „Verlieben auf Schottisch“.

Shar Pei

Der Shar Pei ist aufgrund seiner geringen Verbreitung ein recht seltener Patient in deutschen Tierarztpraxen. Als rassetypisches Merkmal weist er eine auffallend stark faltige, dicke Haut im Schädel- und Widerristbereich auf. Lose Haut an der Halsunterseite sowie größere Hautfalten am Körper hingegen sind laut Rassestandard höchst unerwünscht. Im Welpenalter sind die Hautfalten deutlich ausgeprägt, während bei adulten Tieren die Anzahl abnimmt.

Die Faltenbildung lässt sich auf eine Anhäufung von Schleimstoffen, genauer von hyaluronsäurehaltigem Muzin, in der oberen Epidermis zurückführen, deren Menge individuell unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Bei übermäßiger Anreicherung kann sich das Krankheitsbild der kutanen Muzinose bzw. Hyaluronosis etablieren. Aufgrund der stark wasserbindenden Eigenschaft der Hyaluronsäure (HA) erscheint die Haut klinisch insgesamt verdickt, teigig und geschwollen, wobei der Kopf (siehe Abb. 1) und die unteren Extremitäten besonders massiv betroffen sind. Zudem treten an mehreren Stellen Bläschen oder Plaques mit dickflüssigem, klarem Sekret auf, die sekundär bakteriell infiziert werden können.

In den Falten wird in vielen Fällen das Entstehen einer Hautfaltendermatitis (Intertrigo), ausgelöst durch Aneinanderreiben der Haut, begünstigt. Sofern sich Muzine vermehrt in die Schleimhäute des Nasen-Rachen-Raums einlagern, zeigen betroffene Hunde infolge einer Verengung der Atemwege schnarchende, schnaubende Atemgeräusche. Die erhöhte HA-Bildung scheint zudem an eine erhöhte Neigung für die bei Shar Pei auftretenden antiinflammatorischen Erkrankung SPAID (Shar-Pei Autoinflammatory Disease) gekoppelt zu sein. Ursache dieser Erkrankung ist eine genetisch bedingte vermehrte Expression des HAS2-Enzyms aus der Familie der HA-synthetisierenden Enzyme. Genaue Angaben zum Erbgang liegen jedoch bislang nicht vor, sodass die Auftrittswahrscheinlichkeit bei Nachkommen nicht bestimmt werden kann.

Canadian Sphynx

Die Canadian Sphynx aus der Gruppe der Nacktkatzen erscheint nahezu haarlos. Lediglich ein kurzer, feiner Flaum am Körper ist laut Rassestandard erlaubt. Zugleich sind die Vibrissen (Tasthaare) verkürzt, gekräuselt oder fehlen ganz, sodass der Orientierungssinn der Tiere sowie ihr Sozialverhalten massiv eingeschränkt werden. Das fehlende Haarkleid ist generell mit zahlreichen Nachteilen verbunden, vor allem aber wegen des fehlenden Schutzes vor schädigenden UV-Strahlen, einer gestörten Thermoregulation, einer erhöhten Verletzungsgefahr und häufig auftretenden eitrigen Entzündungen und Pilzbefall in den Hautfalten.

Das Merkmal Nacktheit wird autosomal-rezessiv vererbt: Nur Tiere, die das veränderte Allel (Genort auf einem Chromosom) auf beiden Autosomen (Körperchromosomenpaar) tragen, bilden phänotypisch die Haarlosigkeit aus.

Wenn auch die Faszination für die außergewöhnliche Optik im Vordergrund steht, wird diese Rasse wegen einer vermeintlich besonderen Eignung für Allergiker beworben.

Chinese Crested Dog/Chinesische Schopfhunde

Chinesische Schopfhunde kommen sowohl als haarlose als auch behaarte Variante vor, wobei laut Rassestandard beide zulässig sind. Die vollständige oder teilweise Haarlosigkeit beruht auf einer Mutation des FOXI3-Gens, das damit verbundene phänotypische Krankheitsbild bezeichnet man als ektodermale Dysplasie (CED).

Ein autosomal-kodominanter Erbgang gilt als wissenschaftlich belegt: Bereits bei Weitergabe eines mutierten Gens tritt dieses Merkmal bei Nachkommen phänotypisch in Erscheinung und die Vererbungswahrscheinlichkeit folgt den Mendelschen Regeln. Bei der Verpaarung von zwei haarlosen Elterntieren wären normalerweise 25 % der Nachkommen in Bezug auf den Gendefekt homozygot (reinerbig), was jedoch mit einem Letalfaktor verbunden ist, weshalb die Welpen bereits im Embryonalstadium im Mutterleib absterben. Ein Teil der Welpen erbt das Defektgen nicht, sodass sie behaart auf die Welt kommen und aufgrund der besonders seidigen Fellstruktur als „Powderpuff“ bezeichnet werden (siehe Abb. 2). Im Durchschnitt beträgt das Verhältnis zwischen haarlosen und behaarten Nachkommen, die tatsächlich geboren werden, 2:1.

Da das FOXI3-Gen auch an der Entwicklung der Zähne beteiligt ist, können bei haarlosen Individuen zusätzlich Zahn- und Gebissanomalien in Bezug auf Anzahl und Beschaffenheit der Zähne auftreten, die mit weiteren funktionellen Einschränkungen verbunden sind.

„Schönheit“ auf dem gesetzlichen Prüfstand

Den Maßstab für die tierschutzrechtliche Beurteilung bilden allgemeine Grundsätze des Tierschutzgesetzes (TierSchG) und speziell das Verbot von Qualzüchtungen im Sinne des § 11b TierSchG. Das „Qualzuchtgutachten“ zur Auslegung des § 11b gilt nach über zwanzig Jahren als wissenschaftlich veraltet.

Bei Verstoß gegen § 11b TierSchG können die zuständigen Behörden die Zucht untersagen und weitere Maßnahmen anordnen. Zusätzlich besteht für Hunde mit sichtbaren Qualzuchtmerkmalen ein Ausstellungsverbot (siehe § 10 Tierschutz-Hundeverordnung).

Im Falle von Qualzuchtmerkmalen der Haut oder des Haarkleides existieren mittlerweile mehrere relevante Gerichtsurteile. Ein wegweisendes Urteil im Jahr 2015 war das „Nacktkatzen-Zuchtverbot“, durch das die Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung zum Unfruchtbarmachen eines Canadian Sphynx-Katers sowie des erteilten Zuchtverbotes festgestellt wurde.

Für die anderen beispielhaft aufgeführten Hautmissbildungen erscheint eine Vorhersage zu den Schäden, welche die Nachzucht in einem konkreten Einzelfall mit hoher Wahrscheinlichkeit erleiden wird, schwieriger. In einigen wenigen Fällen können genetische Tests zum Einsatz kommen, die Defektgen-Träger identifizieren können und eine Aussage zur möglichen Weitervererbung erlauben, was die Entscheidung zum Zuchteinsatz beeinflussen kann.

Designerkatzen oder: Aus drei mach eine

Ein weiteres Problem stellen aus dem Ausland importierte Trendrassen dar, für die es auch auf dem deutschen Tiermarkt eine Nachfrage gibt. Durch Verpaarung von unterschiedlichen Hunde- oder Katzenrassen entstehen Nachkommen, die die züchterisch begehrten Eigenschaften der Ursprungsrassen in sich vereinen und ausprägen. Dass für diese Zwecke nicht in jedem Fall die positiven Merkmale ausgewählt werden, lässt sich am Beispiel der Dwelf, einer in der Kategorie „Crossbreed“ anerkannten Katzenrasse aus den USA, verdeutlichen (siehe Abb. 3).

Durch Kombination der drei Rassen Sphynx, Munchkin und American Curl entstand eine haarlose, extrem kurzbeinige Katze mit deformierten Ohrenspitzen. Neben den oben beschriebenen Nachteilen der Haarlosigkeit gesellen sich zwei weitere Qualzuchtmerkmale hinzu, es kommt also durch diese Kreuzzüchtung gewissermaßen zur Steigerung der Qualzucht.

Vielfach werden diese Designer-Kreuzungen mit originellen, einprägsamen Rassenamen versehen und mit zahlreichen Vorteilen – beispielsweise besonders familienfreundliches Wesen, auch für kleine Wohnräume geeignete Größe – beworben. Bei den Interessenten findet vor dem Kauf kaum eine reflektierte Auseinandersetzung mit den Einschränkungen, die solche Individuen ein Leben lang erdulden müssen, statt.

Farbzuchten

Rasseübergreifend führen bestimmte Farbzuchten zu gesundheitlichen Problemen. Seit Jahren sind beispielsweise auf Hunde-Verkaufsportalen „Blue Line-“ oder auch „Silver“-Welpen bestimmter Rassen wie Staffordshire Terrier, Französische Bulldoggen oder auch Labradore besonders begehrt, deren Fell bereits ab Geburt aufgrund einer Gen-Mutation aufgehellt ist. Das für die Aufhellung verantwortliche Dilute-Gen sorgt für eine verminderte Produktion des Farbstoffs Eumelanin, sodass schwarze Haare grau-blau bzw. braunes Fell silber-braun erscheinen. Diese exklusive Fellfarbe geht mit einer Neigung zur Erkrankung an Colour Dilution Alopecia (CDA) bzw. Farbverdünnungsalopezie einher, die etwa ab dem sechsten Lebensmonat erstmalig erkennbar wird und durch einen fortschreitenden Haarausfall sowie in schweren Fällen durch eine chronische Entzündung der Haut (siehe Abb. 4) gekennzeichnet ist. Die empfindliche Haut erfordert eine intensive Pflege sowie einen besonderen Schutz vor schädigenden Einflüssen wie UV-Strahlen, mechanischen Belastungen und Kälte.

Fazit

Mit den aktuell vorhandenen gesetzlichen Instrumenten wird es Vollzugsbehörden nicht möglich sein, Qualzuchten grundlegend zu unterbinden. Um also Qualzüchtungen im Heimtierbereich, die sich seit vielen Jahren etabliert haben, und ebenso züchterische Tendenzen, die weitere Tiere mit einem schmerz- und leidvollen Leben hervorbringen, wirksam zu verhindern, bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung.

Aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und ihrer Nähe zu Tierhaltern fällt die Aufklärung auch in den Verantwortungsbereich von Kleintierpraxen. Nur auf diese Weise kann wirkungsvoll für dieses Thema sensibilisiert und zu einer kritischen Haltung angeregt werden, denn: Wo kein Käufer, dort auch kein Interesse an der Zucht. 

Schreibt uns und wir besorgen Antworten!
Sonst noch was?
Für unsere neue Rubrik „Nachgefragt“ löchern wir Experten zu TFA-Themen, die Euch interessieren. Mailt uns einfach Eure Fragen.

Tierschutzgesetz § 11b [Verbot von Qualzüchtungen]

(1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten […], soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse […] erwarten lassen, dass als Folge der Zucht […]

  1. bei der Nachzucht […] erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder
  2. bei den Nachkommen a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten, b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder c) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.

Weitere Infos

Über die Autorin

Andrea Nelke ist Tierärztin und seit 2020 im Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztier­ethologie (ITTN) an der Stiftung Tierärztliche Hochschule tätig.

Kontakt zur Autorin: andrea.nelke@gmx.de

Tipp: Sie möchten keine weiteren Fachartikel und Gewinnspiele mehr verpassen? Dann abonnieren Sie einfach den Newsletter von tfa-wissen. Hier geht es zur Anmeldung!

Passend zu diesem Artikel