Von Christina Wolf
Betrachten wir den Praxisbesuch einmal aus Sicht einer Katze, lässt sich sehr gut nachvollziehen, was ihr Angst bereitet und warum das Tier, im Behandlungsraum angekommen, oft alles andere als tiefenentspannt ist:
„Gerade eben noch von einer Maus geträumt, werde ich plötzlich aus dem Traum gerissen und in diese ungeliebte Box gestopft. Ich hatte gar keine Zeit zu reagieren oder wenigstens einmal alle vier Pfoten von mir zu strecken… Alles fängt an zu schaukeln, ich rutsche hin und her. Wieder diese Fahrt in dem stinkenden lauten Riesen... Das letzte Mal, als es mir so erging, war ein schlimmer Tag… Mir wird übel. Bald höre ich nur noch grässliches Hundegebell. Fremde Riesenschnauzen drücken sich an mein Gefängnisgitter. Rundherum ist es laut und hektisch. Grelles Licht und beißende Gerüche verfolgen mich. Ich will nur noch nach Hause!“
Was jeder kennt und keiner will
Jeder im Team hat es doch schon erlebt: Anfänglich sitzt die Miez noch schüchtern in der Ecke ihrer Transportbox und würdigt uns nur eines grimmigen Blicks. Ganz „plötzlich“ schlägt die Stimmung um, mit Ach und Krach kann gerade noch die wichtige Langzeitantibiose injiziert werden. Die Spritze mit dem Schmerzmittel wird in dieser Situation lieber weggelassen, soll der Besitzer doch zu Hause sein Glück mit der Suspension versuchen. An eine gründliche Untersuchung ist heute wieder nicht zu denken. Puh, der Deckel ist wieder drauf, die Tür ist verschlossen. Alle Beteiligten stehen mit Schweißperlen auf der Stirn vor der Box und atmen erleichtert auf. Der Puls rast. Kein Biss, kaum Kratzer, da haben alle Glück gehabt! Die Lederhandschuhe werden wieder zurück ins Versteck geräumt. Weiter geht’s. Auch der Besitzer ist etwas geschockt, er wird noch Zeit brauchen, bis er diesen Anblick verdaut hat. So hat er seine Minka ja noch nie gesehen! Vielleicht überlegt er sich beim nächsten Mal dreimal, ob ein Tierarztbesuch wirklich unbedingt schon nottut.
Sich auf die Katze einlassen
Was ist hier schief gelaufen? Wir können nicht behaupten, dass diese Katze von Grund auf böse ist. Manche werden sagen: „Es ist halt eine Katze, unberechenbar!“ Doch ich sage: „Lasst Euch immer wieder auf jede Katze ein und beobachtet sie genau.“ Allein der Versuch zu verstehen, warum sie gerade so reagiert und wie ihre Gefühlslage ist, kann die Zusammenarbeit spürbar verändern. Meistens hat die Katze einfach nur Angst und ist nicht mit dem Vorhaben in die Praxis gekommen, uns zu „zerfleischen“. Unsere Aufgaben bestehen darin, ihr diese Angst zu nehmen, das Beste aus der Situation zu machen und vorbeugend tätig zu werden, denn es kommt sicher auch ein nächstes Mal.
Natürlich gibt es auch Härtefälle, denen man noch so viel Verständnis entgegenbringen kann. Diese Katzen mit hochgradiger Panik und Aggression sind aber schnell entlarvt und hier ist eine schnelle, passend dosierte Sedierung wohl die einzig angebrachte Lösung.
Signale richtig deuten
Wenn wir sämtliche Signale, die eine Katze sendet, unbeachtet lassen bzw. nicht ernst nehmen, wird sie letztendlich zum Angriff übergehen. In unserem eigenen Interesse ist es also wichtig, auf jede noch so kleinste Veränderung der Mimik und Gestik zu achten und zu versuchen, diese zu deuten.
Unnötiger Stress sollte aber auch aus anderen Gründen vermieden werden: Bei vielen Katzen können physiologische Parameter wie Blutdruck, Temperatur, Glucose im Blut sowie der Eindruck vom Allgemeinzustand durch Stress leicht verfälscht werden. Es ist also immer wichtig, diese Parameter mit der Gemütslage des Patienten zu vergleichen und sich erst dann eine Bewertung zu erlauben. Stressreduktion bei der Katze kann dazu beitragen, ein Krankheitsbild genauer bewerten und somit effizienter behandeln zu können.
Entspannter Besitzer – entspannte Katze
Auch der Besitzer spielt eine wesentliche Rolle, wenn es um eine erfolgreiche Behandlung seines Lieblings geht. Er wird sicher eher gewillt sein, beim nächsten Mal rechtzeitig unsere Praxis aufzusuchen, wenn er sieht, wie relaxt Minka plötzlich sein kann und dass sie von Mal zu Mal entspannter wird. Vielleicht lässt sie sich künftig während einer Injektion mit Leckereien bestechen, was der Besitzer doch immer für unmöglich gehalten hat („Das brauchen Sie gar nicht zu probieren, die hat viel zu viel Angst!“…). Oder sie kommt ganz aus freien Stücken aus dem Transportkorb, wenn man ihr etwas Zeit gibt.
Eine positive Stimmung beruhigt ungemein und stärkt den Willen und die Motivation des Besitzers, mitzuarbeiten und alles zu tun, damit es seinem Tier schnell wieder besser geht. Plötzlich steht er nicht nur hilflos daneben, sondern ist in der Lage, die medizinische Behandlung zu Hause weiterzuführen oder anderweitig zu unterstützen. Dies ist gerade bei chronisch kranken Katzen sehr wichtig, die wir gerne regelmäßig zur Kontrolle sehen wollen. Wenn der Besitzer weniger gestresst ist, überträgt sich das auf seine Umwelt und somit auch auf sein Tier.
So erkennen Sie eine ängstliche Katze
Fühlt sich eine Katze nicht wohl fühlt oder ist ängstlich, zeigt sie oft folgendes Verhalten:
Kauerhaltung/Verstecken im Korb und auf dem Behandlungstisch
erweiterte Pupillen
Ohrenhaltung: von leicht nach außen gedreht bis dicht an den Kopf angelegt
Schwanzhaltung peitschend, „buschiges“ Fell
aufgestelltes Fell, Katze sieht „aufgeplustert“ aus
Schmatzen, Belecken des Mäulchens
Grollen, Knurren (manchmal sehr leise und unterschwellig!) und Fauchen
teilweise hohes Miauen
erhöhte Atemfrequenz, bis hin zum Hecheln
feuchte „Schweißpfötchen“ (erkennbar als leichter Fußabdruck)
erhöhte Körpertemperatur (bis ca. 39,3 °C kann dies durchaus stressbedingt sein)
Flucht vom Tisch
Verfall in Starre
Über die Autorin
Christina Wolf arbeitet als TFA in der Tierarztpraxis Engelage in Buchholz. Sie befindet sich in Ausbildung zur Katzenpsychologin an der Akademie für Naturheilkunde in der Schweiz. Ihre Tätigkeit in der „Cat friendly Clinic“ von Angelika Drensler in Elmshorn weckte den Wunsch, Katzenhaltern und anderen TFAs den richtigen Umgang mit Samtpfoten näherzubringen.
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