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Verhalten 31. Juli 2019

10 Tipps, damit die Tierarztpraxis zu einem angstfreien Ort wird

Eine kluge Raumaufteilung, Pheromone und eine heimelige Einrichtung: Die wichtigsten Expertentipps für einen stressfreien Tierarztbesuch.

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Inhaltsverzeichnis

Von Helena Nageler-Petritz

In Paragraph 5 des Tierschutzgesetzes heißt es ‚Es ist verboten, einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen oder es in schwere Angst zu versetzen.‘, zitiert Sabine Scherer, diplomierte Hundewissenschaftlerin und tierschutzqualifizierte Hundetrainerin aus dem Gesetzestext. „Viele Tiere allerdings versetzt der Besuch beim Tierarzt in eine regelrechte Panik. Deshalb ist es wichtig, sich mit diesem Thema ausführlich auseinander zu setzen.“

Hunde reagieren anders als Katzen

Wichtig ist sich zunächst einmal klar zu machen, dass in Bezug auf den Tierarztbesuch ein enormer Unterschied zwischen Hunden und Katzen besteht. „Hunde können lernen, dass ihnen die Praxis nichts tut. Dafür ist natürlich je nach Hund unterschiedlich viel Zeit nötig. Zudem Einfühlungsvermögen und auch einige Leckerli“, so Angelika Drensler. Bei der Katze sieht das ganz anders aus. Die Lernerfahrung spielt bei ihr keine so große Rolle. Sie hat von Natur aus kein Vertrauen zu fremden Umgebungen, Gerüchen und Geräuschen. Und genau damit ist sie ja in einer Praxis immer konfrontiert. „Sie kommt in eine unbekannte Umgebung, es riecht oft nach scharfen Desinfektionsmitteln und Hunde bellen“, erklärt Angelika Drensler. „Es ist in dieser Situation auch egal, ob die Katze mit einem Hund zusammenlebt. Dieses Hundegebell ist sie nicht gewöhnt.“ Zudem kann sie in dieser Situation nicht ihrer natürlichen Reaktion nachgeben: der Flucht – schließlich sitzt sie eingesperrt in ihrem Transportkorb.

Nicht nur Patientenbesitzer schulen

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Natürlich ist es wichtig, dass die Patientenbesitzer am besten mittels Tipps von den Fachleuten ein wenig geschult werden, damit sich ihre Lieblinge in der Tierarztpraxis wohlfühlen. Doch all die Vorbereitung mit Pheromononen, Leckerli, Transportkorb als Höhle bereitstellen oder auch Medikamenten nützt nichts, wenn die Tiere dann in der Tierarztpraxis erhöhtem Stress ausgesetzt sind.

Ein essenzieller aber oft vernachlässigter Faktor ist also die Gestaltung der Praxisräume, darin sind sich die zwei Expertinnen einig. Dabei kann mit einfachen Mitteln schon viel bewirkt werden. „Wer die Möglichkeit hat, sollte schon bei der Aufteilung der Räume beginnen“, so Sabine Scherer.


Top Job:


10 Tipps für einen stressfreien Besuch beim Tierarzt

1. Raumaufteilung beachten

Die ideale Praxis bietet getrennte Warte- und Behandlungsräume für Hunde und Katzen, so Angelika Drensler, die in Elmshorn die älteste cat friendly clinic Gold in Deutschland betreibt: „Nur spezielle Räume wie Röntgen oder Ultraschall werden bei uns von allen benutzt. Doch wenn etwa eine Katze zum Ultraschall kommt, hat sie sich im eigenen Katzenbereich schon akklimatisieren können, sodass ihr das nichts mehr ausmacht.“

Bei der Aufteilung sollte zuerst der Anmeldebereich, dann der Wartebereich, von dem man Zugang zum Behandlungsraum hat, gelegen sein: So lässt sich ständige Bewegung und Hektik im Wartebereich vermeiden. Im Idealfall gibt es einen Ausgang direkt vom Behandlungsraum. „Für sehr ängstliche Patienten ist ein ruhiger Seiteneingang, mit dem sie den Warteraum gänzlich vermeiden können, perfekt“, erklärt Sabine Scherer.

Alternativ: Mit Terminvergaben lassen sich Konfliktsituationen im Warteraum vermeiden, sie wirken also absolut stressreduzierend. Und: Am besten Hunde und Katzen an getrennten Tagen oder unterschiedlichen Tageszeiten (z. B. vormittags Katzen, nachmittags Hunde) behandeln.

„Der Katzenkorb sollte übrigens niemals am Boden abgestellt werden müssen.Alles, was bedrohlich ist, ist dort und die Katze kann nicht weg“, so Angelika Drensler. In ihrer Praxis in Elmshorn gibt es am Anmeldetresen eine spezielle Abstellmöglichkeit. Ein Stuhl oder Tischchen erfüllen aber auch diesen Zweck. „Im Wartezimmer haben wir erhöhte Katzenkorbparkplätze“, so die Katzenexpertin.

2. Wohnzimmeratmosphäre gegen Stress

Ängstliche Tiere können in einer heimeligen Atmosphäre eher entspannen. Mit ein paar Einrichtungsgegenständen wie einem gemütlichen Sessel, Pflanzen (Achtung, keine für Tiere giftigen Pflanzen!) und einer generell hellen und freundlichen Farbgebung lässt sich ein gemütlicher Wohnzimmer-Charme erreichen. „Hunde sehen zwar Farben anders als wir, dennoch sollten aggressive Töne wie Rot vermieden werden“, so Sabine Scherer. „Und: Eine beruhigende Farbgestaltung wirkt sich auch auf die Patientenbesitzer aus. Ein ruhiger Tierbesitzer hat auch einen guten Einfluss auf sein Tier.“ Auch im Wartebereich sollten Nischen und geschützte Bereiche angeboten werden, Pflanzen dienen als Sichtschutz.

3. Sichtschutz wichtig

Generell ist Sichtschutz für ängstliche Tiere wichtig. Vor allem auch im Aufwachraum. Hier sollten besonders Hunde und Katzen keine direkte Sicht aufeinander haben.

4. Gummimatten für den Behandlungstisch

Hunde und Katzen – vor allem ängstliche – fühlen sich auf einer kalten, glatten Metall­oberfläche nicht wohl. Gummimatten sind wesentlich besser geeignet und lassen sich auch gut reinigen.

5. Behandlung am Boden

Manchen Tieren macht die Höhe des Behandlungstisches Angst. Hier empfiehlt sich eine Behandlung am Boden.

6. Beruhigende Musik

Es gibt zwar noch keine evidenzbasierten Studien, doch einige Tierarztpraxen haben gute Erfahrung mit sanfter Hintergrundmusik. Zumindest aber wirkt sich diese beruhigend auf die Patientenbesitzer aus. Und ein entspannter Patientenhalter wirkt sich auch positiv auf ihre Haustiere aus.

7. Pheromone und Futterzusätze gegen Angst

Einige dieser Botenstoffe haben beruhigende Wirkung und können daher gut bei Angst- und Stresssituationen eingesetzt werden. Es gibt einige bereits bewährte Produkte am Markt. Um sie in der Praxis einzusetzen empfiehlt Sabine Scherer Hunde- und Katzenbehandlungszeiten einzuführen. Also etwa Katzen am Vormittag und Hunde am Nachmittag.

„Wir bieten direkt bei der Anmeldung mit Pheromonen präparierte Kuscheldecken an“, so Angelika Drensler. Diese wird über den Katzenkorb gelegt und kommt später auf den Behandlungstisch. Die ängstliche Katze kann sich darin auch verstecken. Die Decke wird erst am Ende der Behandlung zurückgegeben. Sie wird gewaschen und erneut eingesprüht.

Bei der Verwendung von Pheromon-Sprays sollte nicht übertrieben werden. Ein Spritzer genügt. Für Katzen mit ihren feinen Nasen ist das ausreichend. Ein Mehr würde nur zu unangenehmem Kratzen im Hals der Menschen führen.

Empfehlenswert ist auch die Vorabgabe von entsprechenden Ergänzungsfuttern. Diese eignen sich gut bei planbaren Besuchen, da eine gewisse Vorlaufzeit notwendig ist.

„Recht neu ist ein Gerät, das mit speziell abgestimmten Klangwellen beruhigend auf die Tiere wirkt. Persönlich habe ich damit noch keine Erfahrungen, die Studienergebnisse sind aber vielversprechend“, so Sabine Scherer.

8. Patientenbesitzer mit in den Behandlungsraum

Die Tiere den Besitzern für die Behandlung abzunehmen ist zwar eher im englischsprachigen Raum üblich, dennoch gilt: Patientenbesitzer sollten beim Tier bleiben, außer sie sind selbst zu hektisch und ängstlich.

9. Leckerli parat halten

Für die Kooperation hilft die positive Motivation mit Leckerli. Wichtig: Verschiedene Bedürfnisse beachten! Etwa für Allergiker oder Schleck-Belohnungen für besonders Gestresste. Manche lassen sich auch gut mit Spielzeug ablenken.

10. Tierarzttraining

Um – nicht nur – ängstliche Tiere an den Tierarztbesuch zu gewöhnen und ihnen zu zeigen, dass nicht immer etwas „passieren“ muss, empfiehlt Sabine Scherer ein Tierarzttraining. Die Patientenbesitzerinnen und -besitzer kommen mit dem Tier vorbei, wenn es nichts hat, es kann die Praxis erkunden, wird vielleicht gewogen, bekommt ein Leckerli und kann wieder nach Hause.

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